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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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außerhalb und will in Berlin Taxifahrerin werden. Wo gibt's denn so was?«
    »Du musst die hundert Schlüsselpunkte doch nur für die Prüfung auswendig im Kopf haben. In der Praxis danach hast du doch ein Nävi. Und mit der Zeit prägst du dir alles von selbst ein.«
    »Nein«, sagt sie, und ein Klumpen Erdnussbutter fliegt von ihrer Paprika in mein Badewasser und schwimmt obenauf. »Ich will diese Prüfung so ablegen, dass ich kein einziges Mal fragen, nach keinem Tipp angeln, niemals auch nur eine Sekunde zögern muss. Ich will dabei nicht ein einziges Mal falsch abbiegen. Die Kerle müssen den Eindruck bekommen, dass ich schon vier Leben reinkarniert in Berlin verbracht habe.«
    »Okay«, sage ich.
    »Nix okay. Wenn ich alleine übe, gucke ich an jeder roten Ampel wieder auf den Straßenatlas. Oder auf das Nävi. So geht das nicht. Ich kann mir so viele Straßen nur merken, wenn ich zu jeder Ecke ein Bild im Kopf habe. Ein genaues Bild. Dazu muss ich gucken. Genau gucken. Intensiv gucken. Lange gucken. Dann rastet es ein. Wenn ich die Zeit hätte, würde ich ganz Berlin samt Umland mit dem Rad erobern, aber ich habe weder die Zeit noch ein Rad.«
    Ich kämpfe kurz mit mir, weil ich aus meinem Moorbadmix nicht herauswill, sage dann aber: »Und wenn du auf dem Beifahrersitz hocken und genau gucken würdest? Nur zum Memorieren? Zum Lernen?«
    »Das würdest du machen?«
    Ich nicke und puste ein wenig Schaum von meinem Knie, das aus dem Wasser ragt. »Ich bin ein Offiziell-gar-nicht-da-Seiender. Ich nehme mir die Zeit. Und jetzt sofort fangen wir an!«
     

Die City-Maut
    Der alte Renault Kastenwagen ist unser Gefährt. Er parkt in der Straße gegenüber neben dem Restaurant »Pfefferkorn«. Ozgür und seine Kartenspieler vor der Haustür sind verschwunden. Nur noch zwei Kids stehen dort vor dem Busch, tauschen mit dem Rücken zum Weg etwas aus, stecken schnell die Hände in die Taschen ihrer Sweater und quatschen, als wir uns nähern, als hätten sie die ganze Zeit nichts anderes getan.
    »Hast du gehört? Aggro geht ins Ausland, was?«
    »Red keinen Scheiß, Mann!«
    »Is' kein Scheiß. Hab ich vorhin auf hiphop.de gelesen. Die gehen in die Schweiz, Mann. Auch Optik haut ab! Ist wegen dieser Steuer. Aggrosteuer oder wie die das genannt haben, die Spastis da oben. Die Wichser. Nehmen uns jetzt auch noch unsere Musik weg.«
    Wir überqueren die Straße und gehen zum Wagen. Hinter hohen Büschen links hört man das Plock-Plock eines hin- und hergespielten Tennisballes. Tennis und Terror, Gangster und Grünanlagen, das ist hier alles sehr nah beieinander.
    Susanne sagt: »Ich habe mal in einem Buch gelesen, dass man lernen muss, die Sprache seines Gegenübers zu sprechen. Sie zu spiegeln. Erst wenn man sie spiegele, könne sich der andere für einen öffnen.«
    Ich sage: »Okay, bitch, dann zeigen wir den Schwuchteln da draußen mal, wer hier der Leader am Lenkrad ist!«
    Sie lacht. Ich nicht. Ich habe blaue Flecken am Hals. Obwohl, vielleicht habe ich tatsächlich zu wenig gespiegelt. Spreche nicht ihre Sprache. Bin ich ein Opfer?
    Ich starte den Motor. Er klingt wie die Männer, die auf den Bürgersteigen vor sich hin husten, aber er läuft rund.
    »So, zukünftig beste Taxifahrerin Berlins, wo soll's denn nun hingehen?«
    »Fang Wedding an, dann Gesundbrunnen, dann über Prenzlauer runter nach Mitte. Hier«, sie zeigt mir die Karte, »bis hier, dann die Schönhauser runter, Torstraße rüber, Rosa Luxemburg, Alex, dann Karl Liebknecht, Unter den Linden, Straße des 17. Juni bis Zoo. Aber alles langsam. Wir fahren drei, vier Blöcke Hauptstraße, dann rein in die Nebenwege, alle einmal durch wie so'n Heizungsgitter, dann wieder drauf. Verstehste?«
    »Ich war bei UPS.«
    »Am Fließband!«
    »Keine Haarspaltereien jetzt.«
    Susanne lacht.
    Ich kuppele ein. »Augen auf, Notizblock gezückt, es geht los!«
     
    So mühsam das Unterfangen klingt, es entspannt mich unglaublich. Die Welt ist weniger komplex in dem Tunnel der Aufgabe, die ich jetzt habe. Lediglich langsam fahren, abbiegen, noch langsamer fahren, noch mal und noch mal abbiegen, wieder auf die Ausgangsstraße zurück und den nächsten Schlenker einfädeln. Im Grunde cruisen wir einfach durch die City wie echt coole Gangster, nur dass November und unser Auto kein durch Hochdruckpumpen auf- und abhüpfender Lowrider, sondern ein alter Renault Kastenwagen ist. Ich fahre, Susanne beobachtet, schreibt, schaut wieder hoch. Sie ist konzentriert, voll bei der

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