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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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Mann beugt sich so weit nach vorne, dass sein Gesicht das ganze Fahrerfenster ausfüllt wie das Antlitz von Shrek, wenn er sich in die Krippe seiner Kinderlein beugt: »Wollen Sie der Berliner Regierung etwa unlautere Motive unterstellen?«
    »Wieso?«, frage ich, »ist das auch schon verboten? Gehe ich in Untersuchungshaft, wenn ich am Moralministerium zweifle?«
    Der Beamte scheint zu überlegen, ob dem tatsächlich schon so ist oder ob das noch kommt, als Susanne mit dem Faltblatt auf das Armaturenbrett schlägt: »Was denken die sich eigentlich bei der Scheiße? Ich muss hier bald Taxi fahren! Mit der Maut erhöhen sich für meinen Chef doch derart die Kosten, dass er gar kein Gehalt mehr zahlen kann!«
    »Im Gegenteil!«, sagt der Beamte, und das Umweltmädchen, das mitgehört hat, hüpft mit seinen roten Bäckchen klatschend um den Wagen herum. »Öffentliche Verkehrsmittel sind nicht nur von der City-Maut ausgenommen, sie werden sogar ab sofort massiv subventioniert. Am stärksten das S- und U-Bahn-Netz, dann die Busse und schließlich die Taxen. Ihr Chef steht besser da als jemals zuvor! Wir treten in ein neues Zeitalter ein. Der Individualverkehr hat ausgedient. Wenn Sie jetzt schlau sind, verkaufen Sie Ihr Privatauto und machen ein Taxiunternehmen auf.« Der Beamte lacht: »Obwohl, na gut, mit verkaufen ist das bei der Möhre hier sowieso nichts mehr. Apropos ...«, er schaut auf die Windschutzscheibe und sucht nach der bereits seit 2008 verpflichtenden Feinstaubplakette.
    »Gelistet als Laster«, sage ich, »und als Oldtimer.«
    Der Beamte nickt. »Ja, okay. Das geht aber auch bald nicht mehr.«
    Ich blicke auf den Löwen auf dem Faltblatt. Susanne schaut nachdenklich in den Stadtplan.
    »Also, was ist nun?«, fragt der Beamte. »Wollen Sie heute noch nach Mitte rein, oder wollen Sie wieder umkehren? Wenn Ersteres, muss ich von Ihnen kassieren.«
    »Wir kehren um«, sagt Susanne.
    »Okay«, sagt der Beamte, winkt seinen Kollegen, die vor uns mit den anderen Fahrern geredet haben, spricht etwas in ein Funkgerät und sagt: »Dann machen Sie mal, aber vorsichtig.«
    Die Polizisten treten von den Autos zurück, und kaum haben die Fahrer die Erlaubnis, machen hundert Kraftfahrzeuge auf der abgesperrten Berliner Straße gleichzeitig und ohne Ausnahme kehrt.
     

Das böse Breichen
    Die City-Maut ist gerade einmal zehn Tage in Kraft, als Gerd und ich vor dem Gebäude der Agentur ein frisch vom Ministerium angeliefertes GNS in den Smart unseres Chefs Mattes einbauen. Mattes fährt Smart aus Prinzip, weil er mit seinem Geld nicht angeben will. Das schickt sich nicht mehr — mit Ausnahme von hochwertig verarbeiteten Uhren, die von gutdotierten Facharbeitern zu Löhnen hergestellt werden, die man selbst zu zahlen längst nicht mehr imstande ist. Er steht neben dem Wagen und tippelt herum, weil er wieder rein und an der Kampagne zum Erwachsenenbrei weiterarbeiten will. Die Montage wird von einem Berater des Konzerns überwacht, der das Gerät im Auftrag der Regierung entwickelt hat. Das Green Navigation System muss von jedem Bundesbürger innerhalb von 14 Tagen in sein Kraftfahrzeug eingebaut werden, wird ihm dafür aber auch kostenlos zur Verfügung gestellt. Es enthält einen Navigator, der nicht nur seiner üblichen Funktion als Wegweiser nachgeht, sondern in jeder Sekunde sendet, wo sich das Fahrzeug gerade befindet. So wird ein präzises Straßenbenutzerkonto erstellt, mit dem kilometer- und centgenau abgerechnet werden kann. Das System ist trotz der kostenfreien Zwangsverteilung an die Fahrzeughalter immer noch günstiger, als das ganze Land mit Mautmessgeräten zu überziehen. Waren diese an den Autobahnen noch recht einfach zu montieren, würde das in den verwinkelten Straßen einer Stadt oder im Hochgebirge schwierig werden. Das Gerätenetz müsste dicht genug sein, um Umweltzonen zu differenzieren, und gleichzeitig das gesamte Land bis in entlegene Winkel abdecken. Findige Fahrer würden Umgehungen nutzen und durch Löcher schlüpfen. Außerdem will man »gerecht« sein, wie ein letzten Dienstag in hoher Auflage verteiltes Faltblatt der Regierung mitteilt, und »jeden nicht oder nur in Randgebieten gefahrenen Kilometer auch tatsächlich belohnen« sowie »die Höhe der Maut nicht wie ursprünglich geplant in nur fünf Kostenklassen, sondern nach der Umweltverträglichkeit und dem C02-Ausstoß der Fahrzeuge berechnen«. In nur einer Woche hat man die primitive Urfassung der Maßnahme verworfen, die Geräte

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