Feindesland
»aber wir müssen jetzt endlich mal sehen, wie wir das mit dem Geld machen.«
Der Lieblingssatz aller Mafiosi und Arbeitgeber. Ich bin erstaunt, dass ich einen Moment tatsächlich darüber nachdenke, uns einfach freizukaufen und endlich Ruhe zu haben.
»Was soll der Spaß denn kosten?«, fragt Susanne, und Alexejs Augenbrauen bewegen sich ein wenig auf und ab wie zwei Stücke Treibgut in den Wellen.
»Für vier Personen macht das 1000 Euro im Monat.«
»Ach, so günstig?«, sagt Susanne. »Nur das Dreifache der eigentlichen Miete. Dafür könnten wir auch gleich nach Potsdam ziehen.«
»Tut das. Dann schuldet ihr uns für die bisherige Zeit, lasst überlegen, auf den Tag genau gerechnet, 1180 Euro.«
Das Blut aus meinen Ohren wandert in mein Zornzentrum. Ich denke an Herrn Twitter, wie er uns vor wenigen Wochen auf der Autobahn zwang, uns freiwillig dem Finanzamt auszuliefern. Ich denke an die Chefs, die alle Bewerber sehr gerne für sich arbeiten lassen, solange sie dafür kein Gehalt verlangen. Ich denke an die Regierung, die 31 % Aggressionssteuer erlassen hat und für eine bessere Welt nun bei jedem gefahrenen Meter die Kasse klingeln lässt. Ich habe das Gefühl, dass tausend Hände nach uns greifen und keine Ruhe geben, bis wir ausgeschlachtet wie ein alter VW Scirocco bewegungsunfähig am Boden liegen. »Ihr Ratten!«, denke ich und merke an Alexejs Gesicht, dass ich es gesagt habe. Ich habe laut gedacht. Susanne sieht mich an wie einen Mitspieler, der den Doppelpass vollkommen falsch verstanden hat.
»Wie bitte?«, fragt Alexej, und ich flüchte nach vorn.
»Du hast schon ganz richtig gehört«, sage ich. Ich bemerke, wie ich in den Tonfall der Gangsterkids verfalle, ganz von selbst. Meine Aussprache wird feucht. So redet man also, wenn man vor lauter Angst nur noch Hass empfindet. Alexej schaut einmal an mir herauf und herab, dann sieht er sich schnell um, und kaum, dass sein Blick wieder auf mir ruht, ist meine Nase bereits in mein Gesicht gedrückt, und bleiern schmeckendes Blut füllt sämtliche Hohlräume zwischen Nase und Rachen. Ich gehe in die Knie und würge, ich ringe nach Luft. Susanne schreit, doch Patnov hält sie fest. Alexej will gerade ausholen, als er sich ins Gesicht fasst und quiekt wie ein Mädchen. Er taumelt zurück, dann trifft etwas seine andere Gesichtshälfte. Er schreit. Ich schaue am Haus hoch, meine Hand vor der Nase, die sich anfühlt, als könne sie mitsamt ihres angeknacksten Gerüstes aus meinem Gesicht fallen und würde nur noch von dem klebrigen Gemisch aus Schleim, Rotz und Blut gehalten. Wieder ein Treffer, diesmal auf Alexejs Stirn. Er springt vor der Tür herum wie ein Ganove, den Lucky Luke tanzen lässt. Es ist Cevats kleiner Bruder, oben auf dem Balkon. Er spickt den Russen mit Kugeln aus seinem Luftdruckgewehr. Die Haustür springt auf, und Hartmut und Cevat kommen heraus. Sie müssen die Treppe genommen haben, so japsen sie. Sie gehen auf Patnov los, der Susanne bereits loslässt, bevor sie ihn überhaupt berühren, und schubsen den Mann zurück, so dass er über den Papierkorb stürzt und mit dem Rücken auf den Boden neben dem Eingang aufschlägt. Cevat winkt seinem Bruder, dass er das Feuer einstellen kann, und Alexej nimmt die Hände von seinem Gesicht. Die kleinen Kügelchen haben ihn genau unter und über den Augen getroffen. Alles ist angeschwollen wie nach zwölf Runden Boxkampf gegen Wladimir Klitschko. Hartmut stürmt dennoch auf den Mann zu, klatscht ihm beide Handflächen auf die Brust und stößt ihn zurück. Er schreit: »Packst du noch einmal meine Frau an, bringe ich dich um! Hörst du das? Ich bringe dich um!«
Alexej fasst sich, nimmt Haltung an, winkt seinen kleinen Begleiter zu sich, zupft seine Jacke zurecht, zwingt sich trotz seines zerschundenen Gesichtes zu einem Lächeln und sagt: »Revolte. Davor habe ich Respekt. Alle Achtung.« Er nickt anerkennend in die Runde, das Haus hinauf. Wie ein Übungsleiter beim Kommando Spezialkräfte, der die Lehrstunde für beendet erklärt und nicht verstehen kann, dass die Öffentlichkeit die Misshandlung seiner Rekruten zu Abhärtungszwecken nicht gutheißt, wo doch die Rekruten selbst sie als Spielregel akzeptieren. »Alle Achtung«, sagt er noch einmal. »Aber das entlastet euch nicht von der Miete. Ihr musstet euch austoben, okay. Es ist nicht leicht zu akzeptieren, das weiß ich auch.« Sein Blick versteinert, die Pupillen rasten ein und bewegen sich nicht mehr, sein ganzer Körper
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