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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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einem blauen Tetrapak in den Kaffee, »nach der neuen Gesetzgebung müssten Sie sich noch mehr als einmal verhauen lassen.«
    »Was?«
    Herr Erlanger lehnt sich etwas vor: »Wir sprechen doch hier von Russen, oder?«
    »Ja, Russen. Und dieser Ozgür ... wenn wir schon dabei sind, kriegen wir den auch noch wegen Terrorisierung der Mieter mit dran.«
    Herr Erlanger holt einen blauen Ordner aus seinem Regal und blättert darin. »Schauen wir mal nach. Russen und Türken. Wissen Sie mehr über diese Männer? Familiärer Hintergrund? Wohnadresse? Migrationsgeschichte?«
    »Migrationsgeschichte?«
    »Ja. Das spielt alles eine Rolle bei der Verteilung der Gewaltausübungsberechtigungsscheine.«
    »Der was???« Hartmut und ich beugen uns vor. Wir sehen blau.
    Herr Erlanger erklärt: »Das ist ein neues Gesetz, kam ... wann war das?«, er schlägt nach, »vorgestern rein. Läuft in Zusammenarbeit mit dem Moralministerium.«
    »Sicher«, sagt Hartmut.
    »Es besagt«, fährt Herr Erlanger fort, »dass die Ahndung von körperlicher Gewalt gegen andere im Strafmaß viel konsequenter dem Benachteiligungsgrad des Gewaltausübenden angepasst werden muss. Das Ministerium hat sich das so gedacht: Nehmen wir an, Sie spazieren am Potsdamer Platz entlang, und ein gutsituierter Unternehmensberater mit Familie, Audi und Ferienhaus am Tegernsee holt aus und schlägt Sie vollkommen ohne Grund zusammen. Ist das nicht etwas völlig anderes, als wenn Sie von einem 19-jährigen Iraker attackiert werden, der bei den Bombardements durch die Amerikaner seine halbe Familie verloren hat und schwer traumatisiert ist? Wäre es nicht sogar verständlich, wenn dieser Kriegswaise auf dem Potsdamer Platz die Vollautomatik rausholt und einmal quer durch die Menge mäht? Bei dem, was er erleben musste? Macht er aber nicht. Er macht es nicht. Er geht bloß auf Sie zu und scheuert Ihnen eine. Können Sie überhaupt ermessen, wie viel Güte und Sanftmut in einem jungen Mann steckt, der sich so weit beherrschen kann?«
    Hartmut verschluckt sich und bekommt Kaffee in die Nase.
    Herr Erlanger hört auf zu rühren und hält seinen Teelöffel fest. »Es geht um Gerechtigkeit«, sagt er. »Der Unternehmensberater ist wohlbehütet aufgewachsen. Abitur auf der Landschule, Studium in Graz. In Graz, stellen Sie sich das mal vor! Heute 125.000 Euro Jahresgehalt, eine schnieke Frau, zwei propere Kinder, eine Doppelgarage. Den irakischen jungen Mann mit dem gleichen Strafmaß zu behandeln wie diesen Privilegierten wäre doch nicht gerecht, es wäre geradezu obszön! Daher ist man übereingekommen, je nach biographischem Hintergrund, Schwere der persönlichen Traumata und sozialer Einkommensklasse ein gewisses Kontingent an Gewalttaten zuzulassen und als Bagatelldelikte zu behandeln. Bei dem Iraker, nicht bei dem Unternehmensberater. Die entsprechenden Personen bekommen dann«, er zieht eine Schublade heraus und zeigt uns, was er beschreibt, »diese Gewaltausübungsberechtigungsscheine. Begehen sie eine Straftat, die zur Anzeige kommt, werden sie vorgeladen, bekommen hier einen Stempel und haben dann je nach Hintergrund noch drei bis vier Taten frei. So möchte man in den entsprechenden Schichten dem Gefühl entgegenwirken, als Benachteiligter noch mehr diskriminiert zu werden, da dieses Gefühl doch gerade erst den Frust und den Hass erzeugt. Das ist aktive Deeskalation, meine Herren!«
    Hartmut umschließt die Öffnung seiner Kaffeetasse komplett mit dem Mund. Er sieht aus wie der Tintenfisch bei »Futu-rama«.
    Ich frage Herrn Erlanger: »Ich bin mit meiner Mama alleine in einem Hochhaus am Bahnhof aufgewachsen, mein kleiner Cousin übrigens auch. Unsere Vorfahren waren Schweden. Gerade im Moment leben wir am Existenzminimum, weil wir alle nur Freiberufler sind. Wie viele Schläge habe ich frei?«
    »Freiberufler haben gar keine Schläge frei. Selbständige auch nicht.«
    Hartmut zieht den Mund von der Tasse. Es macht ein lautes Geräusch, als der Unterdruck entweicht. Er schmatzt. »Wir waren beim Russen stehengeblieben«, sagt er.
    »Ja. Ihr Prügelknabe da dürfte so drei bis vier Schlag-Erlaubnisse haben. Je nachdem, wie sein Hintergrund ist. Das müssten Sie herausfinden.«
    »Oder uns so lange verhauen lassen, bis er sein Heft aufgebraucht hat.«
    »Wobei er es nur aufbrauchen kann, wenn Sie jeden einzelnen Übergriff beweisen und zur Anzeige bringen.«
    »Dann schickt er nach der dritten Prügelei einen anderen.«
    »Das ist anzunehmen, ja«, sagt Herr Erlanger.

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