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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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lassen Sie uns das begießen.« Sie schenkt Birnensaft ein. Birnensaft von Jacoby. Sie hebt das Glas. Wir stoßen an. Sie setzt sich wieder. »Sie sind gerade noch rechtzeitig gekommen.« »Wieso?«
    »Der Staat hat schon wieder eine finanzielle Durststrecke vor sich.«
    »Wie denn das? Sie haben doch jetzt die City-Maut.«
    »Ja, und die bringt 70 % weniger ein, als kalkuliert wurde. Die Leute stoßen ihre Autos ab.«
    »Das wollten Sie doch erreichen. Sie können doch keine Gebühren erheben, um ein Verhalten zu ändern, und dann meckern, wenn das dazu führt, dass Sie keine Gebühren mehr einnehmen, weil sich das Verhalten ändert.« Ich denke an die Tabaksteuer, die Alkoholsteuer, die Hundesteuer, die Aggressionssteuer. Hartmut wohl auch.
    »Ja gut«, sagt er, »können Sie doch ...«
    »Es ist nicht nur das«, sagt Frau Mützenmacher. »Die leidenschaftlichen Autofahrer weichen jetzt auf die Nebenstraßen aus. Haben Sie von dieser L-Straße nahe der polnischen Grenze gehört, die noch gebührenfrei war? Die ist jetzt schon platt. Zerfurcht und zerfahren. Hunderttausende sind da hingeströmt, nur weil man da noch kostenfrei Auto fahren durfte. Nicht nur so junge Raser, die Rennen fahren, nein. Ganz normale Leute. Familien mit Picknickkörben. Die sind zum Teil mit der Bahn aus Bayern angereist, haben sich vor Ort ein Auto gemietet und sind dann den ganzen Tag diese Landstraße auf und ab gefahren. Wenn man sie fragte, warum, sagten sie: >Weil es umsonst ist.<«
    Hartmut sagt: »Wie wenn Möbelhäuser offene Sonntage machen und die Bratwurst bloß 50 Cent kostet. Da bekommt plötzlich ein ganzer Stadtteil Heißhunger auf Bratwurst.«
    Frau Mützenmacher sagt: »Wir haben massive Flurschäden in Prignitz und Plön. Die fahren uns alles kaputt, wo es noch billig ist, ob sie da hinmüssen oder nicht. Und in der City spielen die Kinder auf leeren Kreuzungen.«
    »Und was machen Sie jetzt?«, frage ich.
    »Ich mache gar nichts, ich empfange nur Befehle.«
    »Was macht die Regierung?«
    »Es ist Verschiedenes in Planung.«
    »Lassen Sie mich raten«, sagt Hartmut, »in enger Zusammenarbeit mit dem Moralministerium?«
    »Ja, natürlich. Der aktuelle Vorschlag sieht eine Diversifikationssteuer vor, um die Ausfälle auszugleichen.«
    »Was ist das?«
    »Das greift eine Regel auf, die bislang nur bei Zwangspfändungen für Steuersünder gilt. Man lässt den Leuten von allem Notwendigen exakt sieben Teile.«
    »Kennen wir«, sage ich, »kommt aus dem Buddhismus.«
    »Ja. Ist ja auch sinnvoll. Das will man jetzt ausweiten. Wofür brauchen wir fünfzig Sorten Marmelade im Supermarkt? Vierhundert Sorten Käse? Fünftausend Biermarken? 250 Sorten Motoröl? Gut, Motoröl brauchen wir bald gar nicht mehr, aber Sie wissen, was ich meine.«
    »Die Dekadenz des Westens«, sagt Hartmut, und ich kann nicht einschätzen, ob er gerade sarkastisch ist oder zustimmt.
    »Richtig. Das sagen sie im Ministerium auch. Es geht um Gerechtigkeit. Wir brauchen keine fünfzig Sorten Marmelade, während im Sudan die Kinder sterben. Das ist nicht nur unnötig, das ist geradezu obszön.«
    »Also wird jetzt staatlicherseits rationiert?«, fragt Hartmut.
    »So würde ich das nicht nennen«, sagt Frau Mützenmacher. »Das wird fiskalisch geregelt. Man will dahin kommen, dass es von jedem Produkt nur noch sieben Varianten gibt. In Bioqualität. Wir leben in einer freien Welt, also kann man den Konzernen nicht verbieten, ihre anderen 43 Sorten auch herzustellen. Man kann sie aber höher besteuern.«
    »Als Abweichung von den Basismarken?«
    »Richtig«, sagt Frau Mützenmacher. »Die sieben Grundmarken bekommen den Aufdruck >basic<, da weiß man auch gleich noch dazu, dass sie gesund sind. Alles darüber hinaus fällt unter den erhöhten Mehrwertsteuersatz, der auch schon für Killerspiele und Gewaltfilme gilt. Im Grunde richten wir in der Gesellschaft mit überzuckerter Aprikosenmarmelade ja genauso viel Schaden an wie mit >Rambo<-Filmen. Die Kinder verblöden und verfetten. Das hört jetzt auf.«
    Hartmut nimmt seinen Daumen zwischen die Finger und drückt ihn, bis er rot wird. Er hat ein Buch gegen den Gesundheitswahn geschrieben und veranstaltet Lesungen dazu. Aber wir brauchen diese Subvention hier, das weiß er ganz genau. Also reißt er sich zusammen und fragt lediglich: »Und diese Basic-Produkte, sind die dann immer noch so billig wie das Zeug bei ALDI?«
    »Nein. Das geht nicht, bei aller Subventionierung, aber Gesundheit hat schon ihren Preis.

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