Feindesland
Tisch in der Mitte mit Zeitschriften darauf, eine Gummipalme, ein Kalender des Diakonischen Hilfswerks, ein Wasserspender.
»Haben Sie aus dem Ding getrunken?«, fragt der Beamte, der seine Tür geöffnet hat und uns nun empfangen kann. »Ich trinke gar nicht mehr aus dem Ding. Kann man überall nachlesen: Nirgendwo bilden sich so schnell so viele Bakterien wie in dem Zapfhahn von Wasserspendern. Schlimmer sind nur noch Heißlufthandtrockner. Benutzen Sie niemals Heißlufthandtrockner! In dem Gitter sammeln sich Staub, Milben, tote Fliegen und Hautfetzen der Vorbenutzer. Die heiße Luft pappt sie nur noch fester in dieser Todeszone an. Mit jedem Knopfdruck auf einen Heißlufthandtrockner befestigen Sie das Unheil.«
Wir antworten nicht, sondern stehen nur auf. Der Beamte macht eine Geste, die uns bedeuten soll hereinzukommen. Das Selbstverständliche fasst er nicht in Worte. Nur Bakterienwarnungen.
Wir betreten sein Büro. Sein Schreibtisch ist blau, was mich irritiert. Auf der blauen Fläche befinden sich ein blaues Notizbuch, ein paar blaue Kugelschreiber sowie eine blaue Kaffeetasse. Man sieht sie nur, wenn man genau hinsieht. Die Tastatur, die Maus, der Monitor. Alles blau.
»Mein Name ist Erlanger, und mein Sohn liebt Blau. Ich bin nie zu Hause, und das belastet den Familienfrieden. Also kommt mein Sohn ab und zu vorbei und hält sich hier im Büro auf. >Wenn du mich lieb hast, machst du blau!<, hat er gesagt, und ich habe es wörtlich genommen. Das fand er sehr lustig.«
Hartmut sieht mich an. Dieser Mann soll uns also retten. Er sei ein guter Bulle, hieß es, sowohl der Beamte Benedikt als auch unsere ehemalige Nachbarin Kirsten hatten schon von ihm gehört als kleine Legende bei der Berliner Polizei, eigenwillig, aber sehr fähig. Herr Reinhard konnte uns leider gar nichts verraten, er ist nach dem Riesenstau neulich aus dem aktiven Dienst bei der Autobahnpolizei ausgetreten, weil niemand auf seine Warnungen gehört hatte, und berät jetzt die Produzenten deutscher Actionserien. Die Menschen dort hätten immer noch mehr Realitätssinn als die deutsche Verkehrsplanung, hat er gesagt. Herr Erlanger geht zu einer blauen Kaffeemaschine und setzt ein paar Tassen auf. Der Kaffee ist von Transfair. Während Herr Erlanger ihn aufbrüht, schildern wir unseren Fall. Die ganze Situation im Wedding. Die Übergriffe. Er hört zu, schaltet die Maschine aus, als sie durchgelaufen ist, kippt den Kaffee aus der Glaskanne in eine blaue Thermosflasche um, transportiert damit den Kaffee die zwei Meter zum Schreibtisch, holt zwei weitere blaue Tassen aus einer Schublade, gießt uns allen ein, trinkt, lehnt sich zurück und sagt: »Können Sie klipp und klar belegen, dass jeder Mieter in diesem Wohnkomplex monatlich Schutzgeld an ein bestimmtes Individuum zahlt? Gibt es Überweisungen, Quittungen, Kontonummern?«
»Natürlich nicht«, sagt Hartmut. »So was wird bar geregelt, das wissen Sie doch.«
»Es war auch eine rhetorische Frage«, sagt Herr Erlanger. »Darauf will ich doch gerade hinaus. Wie belegen Sie, dass diese Zahlungen stattfinden?«
»Weil die Nachbarn sie seit Jahren tätigen.«
»Und die sagen aus?« »Aber klar.«
»Dann streitet die Gegenseite ab. Wo sind die Beweise?« »Hier, meine krumme Nase, ist das kein Beweis?« »Das ist Körperverletzung, das ist ein anderes Thema.«
»Dann kommt man in diesem Land einfach so davon, bloß weil man die Transaktionen in bar entgegennimmt?« »Sicher. Fragen Sie mal Helmut Kohl.«
»Was ist denn«, frage ich, »wenn wir eine Transaktion heimlich filmen? Und auf Tonband aufnehmen, was wir dabei sagen? So wird das doch sonst im kriminellen Milieu gemacht, mit verdeckten Ermittlern. In diesem Fall sind wir die Ermittler. Wir melden uns freiwillig.«
»Schauen Sie, mit Schutzgeld verhält sich das so: Wenn Sie jemandem freiwillig Bargeld geben und nicht beweisen können, dass er Sie mit Gewalt dazu gezwungen hat, haben wir nicht viel in der Hand.«
»Aber wir können es doch beweisen. Die haben uns gewürgt und geschlagen!«
»Dann müssen Sie sich noch mal würgen und schlagen lassen. Sie müssen sich verwanzt mit ihnen treffen, ganz explizit das Thema ansprechen, die Zahlung verweigern und sich dann verhauen lassen, bis die Kollegen aus dem Busch springen und die Männer festnehmen.«
»Na, das klingt doch gut!«, sage ich.
»Sich verhauen lassen klingt gut?«, fragt Hartmut.
Ich puste.
»Das Problem ist nur«, sagt Herr Erlanger und rührt sich Milch aus
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