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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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»Wahrscheinlich einen Albaner, der seit dem zehnten Lebensjahr vom Vater verprügelt wurde und ohne Schulabschluss ist. Benutzt er die offene Hand, darf er bis zu zehn Mal hinlangen. Außer sein Opfer wäre der Unternehmensberater, da erhöht sich das auf fünfzehn. Der hat sicher schon Konzerne beraten, die dort unten Übles anrichten. Hat das Opfer Schläge verdient, wird das nämlich noch mal neu berechnet.«
    So still wie Hartmut dasitzt und am Rand seiner Tasse kaut, muss irgendwas in ihm zerbrochen sein. Oder umprogrammiert. Er sieht Herrn Erlanger an wie einen Forscher, der überzeugend darlegen kann, dass die Welt in zehn Tagen untergeht und wir absolut keine Chance mehr haben.
    Herr Erlanger bemerkt es: »Das ist nicht mein Gesetz«, sagt er, »ich führe es nur aus. Wobei ich sagen muss: Man kann über die neue Regierung sagen, was man will, aber sie hat Überzeugungen.«
    Hartmut steht auf, stellt seine Tasse ab und reicht die Hand über den Schreibtisch. »Herr Erlanger, wir danken Ihnen für Ihre Ehrlichkeit. Ehrlichkeit ist eine Tugend, und Tugenden gelten wieder was in diesem Land. Wir gehen dann und werden im Namen der Gerechtigkeit und der Deeskalation die Schläge der Benachteiligten entgegennehmen.«
    Herr Erlanger ist zu perplex, um etwas zu antworten. Er findet das Gesetz vielleicht merkwürdig, aber er hat nicht das Gefühl, in einem anderen Universum gelandet zu sein. Zum ersten Mal spüre ich, was es bedeutet, wenn alle verrückt werden und nur man selbst gesund bleibt.
     
    Wir gehen von der Wache aus zum Alexanderplatz. Der Brunnen der Völkerfreundschaft ist um diese Jahreszeit wenig besucht. Ohnehin ist kaum was los, das Wetter kippt gerade in ein gräuliches, unentschlossenes Etwas. Das Wasser im Brunnen ist eiskalt, doch Hartmut stützt beide Hände auf den steinernen Rand und rammt den Kopf hinein. Ich frage mich, warum sie es nicht abgelassen haben. Hartmuts Kopf ist so heiß, dass es im Wasser zischt. Das muss guttun. Ich stecke ebenfalls den Kopf hinein. Die Kälte wirkt im ersten Moment wie ein Schraubstock, doch dann wirkt sie befreiend. Ich öffne die Augen unter Wasser, drehe den Kopf und sehe, dass auch Hartmut seine Lider hochgeklappt hat. Im kalten Wasser des Brunnens sehen wir uns an, die Gesichter leicht verzerrt. Grüne Schlieren verhaken sich in unseren Augenbrauen. Als wir die Köpfe wieder aus dem Wasser ziehen und tiefenerfrischt in den November tropfen, stehen sieben junge Gangster vor uns.
    »Haaa, schau dir das an, Koseng, wie behindert sind die denn?«
    »Harn wahrscheinlich 'n Dachschaden.« »Da hat die Mutter mit 'nem Hund gefickt!« Sie gackern.
    »Na, was is, aptal? Hat deine Mutter mit 'nem Hund gefickt?«
    Hartmut sagt: »Wie viel Schläge hast du noch frei?«
    Der Gangster holt sein Bonusheft raus. »Drei, Mann! Hätte eigentlisch nur zwei, aber die harn bei mir 'ne Krankheit festgestellt, da wurden drei draus.«
    »Eine Krankheit?«
    »Ja, Mann!« Er schiebt sein Gesicht nah an Hartmuts: »Pathologischer Hass auf Kartoffelfresser! Hahaha!« Alle lachen.
    Hartmut tritt einen Schritt zurück, springt rückwärts auf den Rand des Brunnens und sagt: »Sag mal, weißt du eigentlich, mit wem du hier redest?«
    Irgendwo hinter dem Brunnen setzt plötzlich ein Takt ein. Ich frage mich, ob jemand einen Ghettoblaster eingeschaltet hat, aber dafür klingt es zu gut. Zu räumlich. Es umhüllt uns, als käme es von überall. Es ist ein HipHop-Beat. Ein harter. Bomm, tschak, be-bomm-bomm-tschak, bomm, tschak, be-bomm-bomm-tschak ...
    Hartmut beginnt - auf dem Brunnen tänzelnd und gestikulierend - zu rappen:
     
    »Ich bin der Einheizer, der Eure-Fressen-Abbeizer, der Closeline-Verteiler, so schnell wie ich ist keiner / ich bin der Stromabsteller, bin ein intellektueller Renner, bin deine Menace, bester Handlanger-Kenner / De-/ Qualifizierer, niemals der Verlierer, bin Im-mer-Überleber, weitaus zäher als Kleber, Streber! / Mein Shit ist schlauer und so hart wie Jack Bauer, ich diskutier dich an die Mauer, bin ein alles Überschauer, ich bin/dein längster Albtraum, bin der Schatten im Park, der dich nur deshalb nicht gleich niederschlägt, weil er Feigheit nicht mag/bin Überzeugungsabwehrer, der Manifesterklärer, der Blödheit-wo-er-kann-mit-aller-Kraft-Abwehrer / Ich bin der Mann für alle Leute da draußen, die solche Schmocks wie euch in ihrem Leben gar nicht brauchen, ich bin / der whackeste unter den Außenreportern und der frechste unter allen frechen

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