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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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Regalreinigung simuliert und dabei kurzatmig hechelt, als wolle sie uns beweisen, wie sehr sie sich aufopfert.
    »Sie berührt die Sachen mit dem Staublappen gar nicht«, flüstere ich.
    »Ich weiß«, sagt Milo.
    Nach sieben Minuten ist Frau Cullmann fertig, legt den Staubläppen beiseite und tunkt ihren Wischmopp in den bereitgestellten Eimer mit Wasser.
    »Füße hoch«, sagt Milo, und ich hocke mich auf seinen Schreibtisch, während er seine langen Stelzen irgendwie auf die Fensterbank faltet. Das Bodenwischen erledigt die schwitzende Schlesierin gründlich, zügig und porentief.
    »Das kann sie«, sagt Milo. »Man müsste ihr eine zehn Quadratmeilen große Fläche geben, und sie wäre perfekt. Stellst du aber einen kleinen Schwan aus Porzellan in die Mitte der Fläche, würde sie versagen.«
    Frau Cullmann wischt und schwitzt. Dann fällt ihr Blick auf das Glas mit dem Brei neben Milos Notizblock.
    »Ach«, sagt sie erfreut, als sei ihre kleine Tochter in den Raum gekommen, »das ist Hipp!« Dann wischt sie zu Ende, packt Eimer, Lappen und Mopp, nickt zum Abschied und wackelt davon.
    Ich steige vom Schreibtisch und beuge mich zum Rechner, um ihn zu packen. Milo bleibt auf der Fensterbank hocken und starrt Frau Cullmann nach. Nur ganz langsam lässt er seine Grashüpferbeine auf den Boden herab. Sein Mund steht offen.
    »Das — ist — es!«, haucht er, geht wie in Trance zu seinem Schreibtisch und drückt einen roten Knopf, der dort neben dem Telefon angebracht ist. Sofort ertönt in der ganzen Etage wieder »Also sprach Zarathustra«. Vor den Glaswänden im Großraumbüro drehen sich die Angestellten herum und lugen hinter ihren Monitoren hervor. Milo räuspert sich, rückt sein Hemd zurecht, wartet, bis Frau Cullmann drüben im Treppenhaus verschwunden ist, drückt seine Glastür auf, stellt sich wie beim Morgenmeeting an der Spitze des Raumes vor sein Büro, lässt sich von mir das Breiglas geben, hält es in die Luft und sagt: »Das ist Hipp!«
    Schweigen.
    Nur das Surren von Rechnern in der Stille und ein Stift, der behutsam abgelegt wird, weil es entschieden ist.
    Nur die Stille, die eintritt, wenn ein Konzeptkünstler gerade ohne Fallschirm aus einem Flieger gesprungen ist und kurz vor seinem Aufprall eine Zehn-mal-zehn-Meter-Leinwand mit Ozelotblut aus einer Druckluftkanone besprüht hat.
    Dann: das erste Klatschen.
    Ein schüchternes »Wow!«.
    Ein weniger schüchternes »Ho!«.
    Lauteres Klatschen, lobende Pfiffe, Standing Ovations, tosende Brandung. Unter den Tönen Zarathustras laufen die Angestellten auf ihren Kreativchef zu, umarmen ihn oder werfen sich neben ihm wie Fußballspieler nach dem Siegtor übereinander. Nach fast 2500 Versuchen ist der Claim gefunden, der unantastbare, der beste, der in seiner genialen Schlichtheit atemberaubendste Spruch, der alles auf den Punkt bringt. Aus dem untersten Stockwerk kommen Veith und Torsten heraufgehastet. Aus der Teeküche schlendern Hartmut und Caterina herbei. Es ist vollbracht. Milo nickt, seine Herde betrachtend wie Tom Cruise, wenn er bei Scientology eine Rede hält.
    »Das ist Hipp!« Ein Claim zum In-Stein-Meißeln. Was für ein Handwerk. Was für große Männer.
     
     
    Ich trenne gerade Stoff von Schaumstoff bei einem alten Schreibtischstuhl, als Hartmut in den Keller stapft, einen Tischtennisschläger nimmt, mir zuwirft und sagt: »Spielen, los!« Ich gehorche, stelle mich an ein Ende der Platte und warte auf Hartmuts Aufschlag. Der sieht mit zittrigen Augen herüber, öffnet den Mund, schließt ihn wieder und spielt dann erst mal. Topspin, Schläge gegen meinen Lauf, Schmetterbälle. Er hetzt mich durch den Keller. Braucht er jetzt. Ist schon in Ordnung.
    Beim Stand von 10:3 für ihn sagt er: »Das Projekt ist doch jetzt im Grunde abgeschlossen. Die haben einen Claim, die haben ein Konzept, die haben alles. Die brauchen jetzt nur noch Anzeigentext. Bodycopy. >Die neuen bösen Breichen von Hipp bestehen nur aus biologisch angebauten Zutaten blablabla.«<
    Ich antworte erst mal nichts, schlage nur auf und pariere einen harten Topspin mit der Rückhand so, dass er knapp rechts hinter dem Netz aufkommt und unretournierbar von der Platte wegfliegt. Hartmut holt den Ball und nickt anerkennend. Mit 15 waren wir in unserer Heimatstadt beide in Vereinen, ohne uns zu kennen. Ich Bezirks-, er Landesliga. Er sagt: »10:4.« Er wirft mir den Ball zu. Ich warte mit dem Aufschlag. Hartmut sagt, seine Worte mit dem Schläger betonend: »Entweder ist das

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