Feindesland
Projekt jetzt zu Ende und ich kriege mein Geld, oder aber es folgen die Mühen der Ebenen und ich kriege schon mal einen Teil meines Geldes.«
»Aber?«
»Aber? Milo sagt, wir hätten alle exzellente Arbeit geleistet, auch ich, nur eben mit dem Geld müssten wir mal sehen, wie wir das machen.«
Ich schüttele den Kopf und schlage auf. Ins Netz. Fehler. Hartmut gewinnt den Satz. Ich sage: »Ich habe heute 77,70 € verdient. Auf der Rechnung steht >Entsorgungs- und Entsorgungsberatungsarbeiten<.«
»Hast du in der Zwischenzeit deine Selbständigkeit angemeldet?«
»Nein.«
Hartmut schaut auf den Schläger, als prüfe er die Marken der Beläge. »Dann lass das auch mal«, sagt er.
»Wie meinst du das?«
»Ich hab die Faxen dicke«, sagt er. »>Mal schauen mit dem Geld, mal schauen mit dem Geld.< Wir gründen jetzt unsere Taxifirma, fertig, aus. Wir kaufen dieses Gelände, so schnell es geht. Cevat soll sich auskacken, wer von seinen Kumpels nun alles mitmacht. Wir kaufen Ökostreichfarbe. Wir holen uns die Zuschüsse von Frau Mützenmacher. Wir geben jetzt Gas. Wie sagt Milo immer so schön? Ratzfatz, schwuppdiwupp, peng!«
»Okay, packen wir's an!«, sage ich.
»Ich gehe jetzt nach oben und sage Milo, dass ich mal sehen muss, wie ich das mit dem Arbeiten mache, solange er sehen muss, wie er das mit dem Geld macht.«
»Und ich fahre eben zu Jochen und bringe ihm diesen alten Rechner.«
»Dann bis heute Abend.«
»Ja, bis nachher!«
Heute reicht schon Mulch
In der WG, in der nichts neuer als 15 Jahre ist, legt Mario alte Vinylsingles aus den 80ern auf, während Jochen den von mir gespendeten Computer einrichtet. Inker & Hamilton singen »Dancing Into Danger«, als Jochen einen Neunnadeldrucker anschließt. In dem Regal neben dem Schreibtisch für PCs stehen rund 300 Spiele in guterhaltenen Kartons. Die Titel halten meinen Blick gefangen, während Jochen schraubt. Gerade wandern meine Pupillen über das Regalbrett mit Rollenspielen. Ishar, Stronghold, Ultima VI, The Legacy.
»Das ist eine sehr gute Idee mit den individuellen Taxiwünschen«, sagt Jochen, und Mario ruft aus dem Wohnzimmer: »Ich würde nehmen: Nichtraucher, Smalltalk, einen kalten Eistee und 80er-Pop.« Dann legt er Sandra auf.
»Ja, nur wir brauchen Fahrer«, sage ich. »Susanne hat ihren Schein, wenn alles glattgeht, im Februar. Cevat kann hauptsächlich Mechaniker besorgen. Hartmut und Caterina würden Marketing und PR machen. Ich traue mir auch noch zu, so einen Schein nachzuholen, aber ...«
»Ich kann doch fahren!«, sagt Mario, der nun in der Tür steht, die Hülle der Sandra-Single in der Hand. »Ich kann auch Leute besorgen. Hey, ich war Dauerpraktikant, da kenne ich doch Taxifahrer.«
»Aber wir ...«, sagt Jochen.
»Keine Sorge«, sagt Mario, »ich fahre das Retrotaxi. Ihr kauft doch ohnehin keine brandneuen Autos, oder? Ich spiele nur Musik bis 1995. Ich habe Capri-Sonne im Auto.« Jochen brummt.
»Wir brauchen ein bisschen regelmäßiges Geld, Jochen. Eier und Milch gibt's nicht auf dem Trödelmarkt. Außerdem helfe ich unseren Freunden gerne.«
»Ja, ist ja in Ordnung.«
Ich lächele.
Mario sagt: »Ich höre mich um, und am Freitag treffen wir uns hier, alles klar? Mit allen, die mitmachen wollen.«
Jochen sagt: »Aber die rühren nicht die Spielesammlung an, ohne zu fragen.«
»Nein, Schatz, werden sie nicht.«
Ich springe auf. »Freitag!«, sage ich. Als ich das Treppenhaus hinunterstapfe, stelle ich mir einen Tunnel vor, damit ich ein Ende habe, an dem ich das Licht sehen kann.
»Sind wir eigentlich würdevoll?«, fragt Hartmut, als ich wenige Stunden später mit ihm einen Abendspaziergang durch den Schillerpark mache. Die Frauen sind sicher ins Haus gekommen, heute Abend waren keine Russen oder Araber vor der Tür zu sehen. Susanne hängt am Telefon und ruft potentielle Mitarbeiter an, Cevat tut es ihr zwei Wände weiter gleich, und Caterina brütet bereits über ersten Entwürfen für Logo und Corporate Identity von MyTaxi, die Idee, die uns retten soll. Hartmut und ich haben gesagt, wir müssten laufen, um frisch und frei darüber zu sinnieren, wen wir sonst noch als hilfreiche Partner kennen, und das haben wir bis eben auch getan, doch jetzt kriegt Hartmut wieder seinen Melancholischen. Ich gebe ihm ein Bier. Ich öffne mir ebenfalls eins, und wir stoßen beiläufig an. »Wir sind nicht würdevoll«, sagt er.
»Weil wir Bier trinken?«, frage ich.
»Das ist es nicht«, sagt er.
Kiesel knirschen
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