Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
Vom Netzwerk:
noch mehrere staatlich zertifizierte Schlag-Erlaubnisse haben, ging neulich durch die Nachrichten, dass auf Initiative des Moralministeriums hin Neonazis selbst dann von der neuen Regelung ausgenommen sind, wenn sie als Waisenkinder aufwuchsen und Knochenkrebs haben. Das sei man der Welt schuldig, alles andere sei obszön.
    Wie sich die ungebetene Hilfe der Schläger nun auf unsere Wohnsituation auswirkt, können wir noch nicht sagen. Unsere Tür haben wir sicherheitshalber mit einem zweiten Schloss verstärkt und auf dem Flur eine kleine Kamera angebracht, die ihr Bild auf einen Monitor in der Küche spielt. Das Firmengebäude hier in Pankow soll in jedem Fall auch Wohnräume bekommen. Wir müssen da raus. So oder so.
    »Alles klar«, sagt Herr Hirschfeld, der Verkäufer. »Ich habe meinen alten Auftragskalender.« Er wiegt das Ding in den Händen wie ein Baby. »Ja, das waren noch Zeiten. Volle Auftragsbücher, viele Kunden.«
    »Warum haben Sie die Geschäfte eingestellt?«, fragt Hartmut den ehemaligen Gebrauchtwagenhändler.
    »Hab ich nicht. Ich führe sie sozusagen aus der Garage weiter. Ich wohne unten im Grunewald, wenigstens das kann mir keiner nehmen. Gut, es kommen nur noch ein bis zwei Aufträge die Woche rein, aber ich habe Rücklagen gebildet.«
    »Was machen Sie mit dem Rest der Zeit?«
    »Ich grabe um.«
    »Sie graben um?«
    »Ja, das Gelände neben meinem Haus. Gehört keinem. Grabe ich um, mit einem gemieteten Bagger. Wenn ich nicht grabe, grille ich. An beidem haben meine Söhne großen Spaß. Es ist unser Familienmotto geworden. Graben und Grillen.«
    »Warum graben Sie?«
    »Weil ein Mann etwas tun muss. Ich säe neuen Rasen aus. Wenn alles fertig ist, könnte es ein anständiges Fußballfeld ergeben, das wird man dann sehen. Außerdem habe ich gelesen, dass auf fast jedem Gelände in diesem Land vor dem zweiten Weltkrieg Wertvolles tief vergraben wurde, damit der Russe es nicht bekommt. Ich habe Porzellan gefunden. Leider zu spät gemerkt, habe es mit dem Bagger kaputtgefahren. Eine Kiste mit einem alten Revolver. Kein Witz. Habe ich auch gefunden. Trommelrevolver, sicher aus den Zwanzigern.«
    »Meine Güte«, sagt Hartmut und schaut auf die Wand mit dem verblassenden Schriftzug.
    »Ja«, sagt Herr Hirschfeld. Der Wind spielt mit dem Zurrseil eines Fahnenmastes, an dem einst Hirschfelds Firmenflagge wehte. Wir hören dem Klappern zu. Herr Hirschfeld sagt, während wir wir alle drei sinnierend auf die Wand starren: »Ich bewundere Sie jungen Leute, dass Sie es als Unternehmer versuchen wollen. Ihr Mut ist maßlos.«
    »Wieso?«, fragt Hartmut, »wir bekommen doch jede Menge Förderung wegen des öffentlichen Personennahverkehrs und der Umweltauflagen, die wir einhalten.«
    »Ja, gut, aber das AAdG bricht einem doch das Genick.«
    »Was für'n Ding?«
    »Das haben sie Ihnen bei der Gründungsbehörde nicht erzählt?«
    Hartmut dreht sich zu Herrn Hirschfeld um. »Ahhhh, nein ...«
    Herr Hirschfeld verschränkt die Arme. Dann löst er wieder einen, um das Gesprochene zu unterstreichen, während der zweite am Körper bleibt. »Das aktive Antidiskriminierungsgesetz. Ist vor ein paar Wochen in Kraft getreten. Parallel zum rückwirkenden Mindestlohn. Das müssen Sie doch mitbekommen haben.«
    »Vor ein paar Wochen waren wir noch auf der Autobahn.«
    »War mit das Erste, was die neue Regierung verabschiedet hat. Wahrscheinlich denken Ihre Amtsförderer deshalb, dass es Ihnen bekannt ist, und haben es nicht groß erwähnt. Bei dem Tempo, in dem sie jetzt Gesetze machen, bleibt nur Zeit für die allerneuesten Updates.«
    »Was besagt es denn nun?«
    »Sie kennen doch das alte Antidiskriminierungsgesetz, oder? Ich habe Plattfüße oder eine Behinderung oder einen Migrationshintergrund oder eine Vagina. Ich bewerbe mich, ich bin genauso gut wie die anderen, ich werde nicht genommen, ich verklage den Arbeitgeber wegen Diskriminierung.«
    Hartmut sagt: »Also, so sarkastisch können Sie das auch nicht darstellen. Das wurde ja damals nicht aus Jux und Dollerei ...«
    »Jetzt warten Sie mal ab, junger Mann«, unterbricht ihn Herr Hirschfeld. »Dieses Gesetz war der neuen Regierung zu lasch. Immer erst klagen müssen und dann lange Prozesse führen, an deren Ende der Arbeitgeber eben doch nachweisen kann, dass der gesunde, weiße, heterosexuelle, deutsche Bewerber irgendwie >objektiv< besser war. Also haben die sich gedacht: Kehren wir den Spieß um. Seitdem müssen Sie bei einer Firmengründung garantieren,

Weitere Kostenlose Bücher