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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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auf dem Teppich seinem Weg, reibt sein Köpfchen an seinen Beinen und kreuzt ihn alle paar Schritte, so dass Hartmut ständig stolpert und schwankt. Irmtraut sitzt auf dem Küchentisch und frisst Salatblätter. Aus dem Stockwerk unter uns pumpt der Beat von Snoop Doggy Doggs »Drop It Like It's Hot«.
    Die Tür des Badezimmers öffnet sich. Susanne erscheint, den Blick auf dem Teststreifen. Den Blick auf Hartmut und Yannick. Den Blick auf uns, Irmtraut und Ai Ai. Den Blick auf dem Streifen. Den Blick auf Hartmut. »Ich bin schwanger«, sagt sie. Sie flüstert es. Hätte sie aus dem Fenster gezeigt und gesagt »Da landet eben ein gigantisches Raumschiff in Form einer Glockenlilie an der Ostsee, und mein Gott, es ist so groß, dass man es bis hierher sehen kann«, sie hätte nicht erstaunter klingen können.
    »Ich bin schwanger«, wiederholt sie erneut.
    Yannick miaut. Hartmut steht einen Moment starr. Dann jubelt er. Läuft im Zimmer auf und ab, jubelt, hüpft rückwärts auf die Couch, springt darauf auf und ab, geht in die Knie, wirft die Arme gen Himmel und umarmt dann seine perplexe Frau, die dabei aus dem Fenster sieht und deren Mund sich erst ganz langsam zu einem Lächeln formt. Zu einem Lächeln mit vielen Zusatzparagraphen .
    Hartmut lässt sie los und blickt ihr in die Augen. »Schatz, das ist ... unglaublich!«
    »Ja, das ist es ...«
    Wir stehen auf und gratulieren den beiden. Die Teststreifen gehören meiner Freundin. Eigentlich sollte ich hier stehen. Ich freue mich für die beiden, fühle mich aber nicht mehr so männlich. Ich ertappe mich dabei, wie ich mir denke: >Warum du, Hartmut? Du schlägst aus theoretischen Gründen Radfahrer vom Sattel. Du bist wankelmütig und wahnsinnig und bringst dich stets in Gefahr. Warum du? Warum nicht ich, ich solider Versorger?<
    Ich frage mich, warum ich das denke. Mir fällt auf, dass Hartmuts Koteletten zwar wuschig und wild aussehen sollen, ihr Übergang zum rasierten Teil der Wange aber perfekt ist. Mir fällt auf, dass er sich die Haare aus den Ohren zupft. Das habe ich vorher noch nie bemerkt. Ich denke: >Du tust immer so chaotisch, aber in Wirklichkeit hast du's im Griff. Kannst Kinder machen und bald Mulch kaufen.< Was denke ich denn da? Was fühle ich denn da? Warum provoziert mich der Rand seiner Koteletten?
    »Ich bin nicht bereit ...«, flüstert Susanne, und mir platzt der Kragen. Ich will gar nicht, dass das passiert. Er platzt einfach. Ich sage: »Jetzt hör auf zu sagen, dass du nicht bereit bist!« Ich sage es wohl sehr laut, denn alle drei weichen blitzschnell vor mir zurück wie Tauben vor forsch schreitenden Fußgängern in schwarzen Mänteln. »Verdammt, echt! Ihr bekommt ein Kind, ein Kind! Ihr erschafft Leben. Siebzig, achtzig Jahre Leben. Tausende und Abertausende von Tagen und Szenen. Ein Streifen von Erinnerungen, so umfangreich und weitläufig wie alle Spiele der Welt zusammen. Kümmert euch darum!«
    Hartmut runzelt die Stirn: »Machen wir ja. Was ist denn los?«
    Ich unterbreche sein Gestammel: »Nie ist jemand bereit! >Ich liebe dich, aber du warst kein Wunschkind, das muss ich schon zugeben. Dein Vater und ich, wir waren damals eben nicht bereit.< So ein Scheiß! Was kann denn wichtiger sein? Angeln in der Tundra oder was? Die Freiheit. Huhu, die Freiheit!«< Caterina berührt meinen Ellbogen, aber ich ziehe ihn weg, gehe zur Tür und nehme den Wohnungsschlüssel. »Man ist bereit, oder man ist nicht bereit. Aber dieses Herumgeeier, das muss ich mir nicht geben!«
    Ich schlage die Tür zu, laufe die Treppen hinab, passiere Nachbar Roland, der mir entgegenkommt, laufe unten aus dem Haus und gehe auf die andere Straßenseite. Gegenüber liegt ein Stück Brachland mit alten Hütten, halbherzig abgesperrt durch langvergessene Bauzäune mit Löchern. Abends sieht man hier vom Balkon aus finstere Gestalten herumlungern, aber das ist mir jetzt gleichgültig. Ich betrete das Gelände. Die Hütten und der Müll bieten Schutz. Was habe ich denn jetzt eben gemacht? Was ist los mit mir? Warum habe ich kein Bier mitgenommen? Warum habe ich keins zur Hand? Warum poltert da gerade etwas in dem Verschlag links vor mir?
    Trainiert durch Hunderte von Videospielen, die mich davon abgehalten haben, fruchtbar zu sein, gehe ich augenblicklich hinter dem Verschlag in Deckung, genau unter dem Fenster im toten Winkel, aus dem die Personen im Inneren einen nicht sehen können. Falls jemand drin ist. Ich presse mich geduckt an die Wand. Ich höre Stimmen. Es ist

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