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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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jemand drin. Die Stimmen klingen russisch. Und türkisch.
    »War da was?«
    »Scheißdreck, da war nichts, zähl weiter, Alexej!« »Also gut, 15 % von 17.000 sind ...«
    »Ich will zwanzig.« »Wie bitte?«
    »Ja. Seit zwei Jahren mache ich jetzt die Drecksarbeit hier. Glaubst du, mir macht das Spaß? Immer den Asi-Türken raushängen lassen? So tun, als hättet ihr Russen hier alles in der Hand? Anzeigen wegen Belästigung riskieren?«
    »Wir haben hier alles in der Hand, Ozgür. Davon abgesehen weißt du ganz genau, dass niemand euch anzeigt, der hier gesund wohnen bleiben will. Und wohnen bleiben hier alle.«
    »Scheiße. 18 Prozent.«
    »Sag mal, hast du am Wochenende einen VHS-Kurs >Gehaltserhöhung leicht gemacht< besucht oder was? Ich kann auch die Albaner anrufen.«
    »Scheiße. Ohne uns würde die Kohle nicht so flüssig laufen.«
    »Es läuft überhaupt nichts flüssig, Ozgür! Hier müssten eigentlich 21.000 auf dem Tisch liegen. Und diese Neuen haben immer noch nicht gezahlt, obwohl ich einem von denen die Nase eingedrückt habe. Ich übrigens, nicht du. Außerdem habe ich noch mehr Mitarbeiter zu bezahlen. Die Zeiten werden für Unternehmer auch nicht leichter.«
    Ich glaube nicht, was ich da höre. Ozgür und der Russe stecken unter einer Decke! Cevat hatte recht. Die Türken spielen die Bedrohung, vor der die Russen die Bewohner gegen Geld »beschützen« sollen. Am Ende kriegen sie Provision. 15 Prozent. Mein Herz klopft. Mein Bein zuckt. Mein Fuß streift eine leere Flasche. Sie kippt um und bollert gegen die Wand der Hütte. Ich halte den Atem an. In einem Film würden Alexej und Ozgür jetzt langsam aus der Hütte kommen, die Kanone im Anschlag, falsch herum um die Hütte schleichen und mir genug Zeit lassen, mich auf das Dach zu flüchten. Im echten Leben aber stürzen sie sofort heraus, sehen mich und brüllen etwas in ihren jeweiligen Muttersprachen, das dazu führt, dass ein halbes Dutzend weiterer Schläger aus weiteren Hütten strömt und mich packt. Es geht sehr schnell, schneller noch, als andere schwanger werden.
    »Du Mistratte!«, brüllt Alexej, während mich zwei seiner Assistenten festhalten, und schlägt mir ohne weitere einleitende Reden so heftig in den Magen, dass mir die Luft wegbleibt und ich würgen muss.
    »Erzähl auch nur einem, was du gehört hast, und du bist tot, Mann, tot! Du hast einen Unfall. Einen tragischen Unfall!«
    »Hast du Angst um dein Geschäftskonzept?« Ich würge und schließe das Auge, bevor seine Faust darauf auftrifft, heißen, stechenden Schmerz hinterlassend.
    »Ich kann einen meiner Leute von Ozgürs Gang vor dem Haus zusammenschlagen lassen, damit die Bewohner sehen, wie gefährlich der Türke ist. Gar kein Problem, das nehme ich in Kauf. Dir glaubt da drin keiner, du Drecksau! Wo kommst du überhaupt her? Du und deine verwöhnten Mittelklassefreunde? Was wollt ihr überhaupt hier? Das ist unsere Welt! Glaubt ihr, ihr könnt euch anmaßen, über uns zu urteilen?«
    »Arschloch ist Arschloch, da gibt es nichts zu urteilen«, sage ich und spüre, wie durch den nächsten Schlag meine Lippe aufplatzt. Ich schreie. Die Lippe schwillt an. Das Gefühl hatte ich zuletzt, als ich mit zwölf auf dem Rand des Hallenbadbeckens aufgeschlagen bin. Bevor der Russe mich weiter quälen kann, bekommt er eine volle Dose Cola an den Hinterkopf, auch das ohne Vorwarnung. Er krümmt sich, und seine Leute drehen sich herum. Hartmut hat geworfen. Hartmut stürmt heran. Er ist mir nachgekommen, weil ich sauer geworden bin. Er hat nicht erwartet, mich jetzt retten zu müssen. Hätte er es erwartet, hätte er das Luftgewehr von Cevats Bruder und eine Strategie mitgebracht. Im Angesicht von acht Ghetto-Einwohnern mit vollen Coladosen zu werfen, ist keine Strategie. Dennoch steht er da, eine weitere Dose in der Hand und sagt: »Aufhören! Sofort aufhören!«
    Alexej sagt gar nichts. Er knurrt nur und bedeutet seinen Leuten mit einer Geste, auch diesen ungebetenen Gast schnell und unspektakulär fertigzumachen. Hartmut wirft mit dem Mut der Verzweiflung seine letzte Dose gegen die Anstürmenden, doch sie streift lediglich den ersten Angreifer. Dann reißen sie ihn zu Boden und treten auf ihn ein. Dies zu sehen bringt mich so in Rage, dass ich meine Peiniger abschüttele, indem ich einem von ihnen mit dem Hinterkopf einen Kopfstoß gebe, woraufhin der kurz loslässt. Ich renne auf die Männertraube zu, die Hartmut verprügelt, und trete einem von ihnen von hinten in den Rücken.

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