Feindesland
sich kaum klagen lässt. Man muss zusehen, dass man Bedürfnisse befriedigt.«
»Das darfst du keinem erzählen«, sagt Hartmut und reibt sich die Schläfe. »Das darfst du echt keinem erzählen ...«
Herr Bassermann sagt: »Und? Kommen wir ins Geschäft?«
Hartmut sagt: »Können Sie Taxi fahren?«
»Mein Freund«, lacht Herr Bassermann, »ich bin schon Taxi gefahren, da sind noch die Zweispänner durch Berlins Straßen geholpert.«
Herr Schuh grinst übers ganze Gesicht, macht ein paar Schritte, boxt seinen Sack und zieht ein Formular aus dem Gefledder zwischen den Ordnern. Wir machen hier wohl ein Geschäft. George Michael singt »Last Christmas« von vorn.
Links in der Ordnerliste
Als wir wieder auf der Straße stehen, blicken wir am Hotel hinauf und fragen uns, ob wir das dort oben wirklich erlebt haben und ob die Menschen hier unten ahnen, was sich über ihren Köpfen verbirgt.
»Sollen wir was Warmes trinken gehen?«, fragt Hartmut, doch bevor wir zustimmen können, rappelt eine SMS in seiner Hose. Er sieht nach. Schaut über die Straße, macht schmale Augen und bläst die Wangen auf. Er sagt: »Das war Caterina. Die brauchen mich noch einmal in der Agentur. Zahlen auch angeblich bar auf die Kralle. Texternotfall. Du sollst auch mitkommen. Und du auch, Susanne.«
»Ich auch? Wieso das denn?«
»Keine Ahnung. Vielleicht wollen sie so viele Köpfe wie möglich dabeihaben. Wenn's bei denen pressiert, versuchen sie alles.«
»Ein Glühwein auf die Hand drüben an der Gedächtniskirche geht aber doch«, sage ich.
»Ich gebäre bald. Ich nehme Pfefferminztee«, sagt Susanne. Dann klingelt ihr Telefon.
Ihre Mutter legt ohne Begrüßung los: »Jetzt habe ich endlich deine Mail runtergeladen, und jetzt ist sie weg.«
»Wie, weg?«
»Ja, der hat geladen und geladen und geladen, und jetzt gucke ich im Posteingang, und da sind keine neuen Mails.«
Ich sehe ein, dass es mit der Gedächtniskirche nichts wird, und bestelle zwei Bier und einen Tee bei der von Türken betriebenen Pizzeria neben dem Hoteleingang. Sie hat eine Ausgabetheke nach draußen.
»Dann schau mal über deinem Posteingang, da wo >Erhalten< steht«, sagt Susanne.
Die Mutter schaut. Nach einer Weile sagt sie: »Da steht kein >Erhalten<, da kommt direkt >Postausgang<.«
»Wie?«
»Ja, Kind. Über >Posteingang< steht >Postausgang<.« »Ach, du bist links in der Ordnerleiste.« Die Mutter schweigt.
»Mutter, du sollst rechts oben gucken, wo deine Mails sind.«
»Da sind keine Mails.«
»Natürlich sind da Mails.«
»Ja, aber nicht die neuen.«
»Mutter!«
»Ja, ja, ich gucke. Da sind die alten Mails. Und jetzt?«
»Jetzt siehst du neben dem Betreff der Mails auch immer das Datum, an dem sie angekommen sind.«
»Ja, da steht >Erhalten<.«
»Davon sprach ich, Mutter.«
»Ja, Kind, du darfst halt nur nicht so schnell machen. Ich werde dann nervös und weiß gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht.«
Ich bekomme Tee und Bier und zahle. Hartmut und ich öffnen die Flaschen. Ich stelle Susanne den heißen Becher auf einen schmutzigen Stehtisch. Susanne trinkt einen Schluck.
»Schau jetzt neben dem Wörtchen >Erhalten<, da ist ein Dreieck zu sehen.«
»Da ist kein Dreieck.«
»Mutter! Zwischen meiner Frage und deiner Antwort, dass da kein Dreieck sei, ist nicht einmal eine Sekunde vergangen. Schau bitte genau hin!«
»Ja, vielleicht bin ich ja blind, ich weiß es doch auch nicht, aber da ist... oh. Du meinst das Dreieck.«
Susanne trinkt den brühheißen Tee in einem Zug aus, schüttelt sich und winkt, dass ich noch einen bestellen soll.
»Ja, Mutter, ich meine das Dreieck neben >Erhalten<.«
»Ja, das Dreieck habe ich gesehen.«
»Und warum sagst du dann, da wäre kein Dreieck?«
»Weil es grau ist und nicht schwarz, und du hast mir mal erklärt, warte, da habe ich sogar noch meinen Zettel hier, da steht: >Bei Grau kann man Befehle nicht anklicken.<«
»Ja, Befehle in Menüs, aber das Dreieck kannst du anklicken, Mutter, glaub mir das!«
»Okay, dann klicke ich jetzt an.«
»Mach das.«
Susannes Mutter klickt an.
»Und?«
»Nix.«
»Wie, nix?«
»Jetzt stehen die ganz alten Mails oben.«
»Okay, dann ist die Reihenfolge nicht umgekehrt worden.«
»Bitte?«
»Nichts. Schau jetzt mal links, ob da irgendein Ordner gefettet dargestellt wird.« »Nein, keiner!«
Es ist in der Tat erstaunlich, wie schnell Susannes Mutter antwortet. Entweder sie hat den Blitzblick, oder sie sagt immer erst mal grundsätzlich
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