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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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Kanalisierung in den Spending-Malls. Das Sozialzertifikat für Unternehmen. Die Strafmaßnahmen gegen ungesund lebende Familien und die Subventionierung derer, die ihr Ernährungsbonusheftchen gewissenhaft füllen. Das alles war viel. Viel harter Tobak in sehr kurzer Zeit. Ratzfatz! Schwuppdiwupp! Daher hat uns das Moralministerium den Auftrag gegeben, sämtliche seiner Maßnahmen unter einer zentralen Kampagne zu bündeln. Es gibt keine falsche Politik, sagen sie, es gibt nur falsche Kommunikation. Unser Problem ist nun, dass sie die Ergebnisse bis morgen um diese Zeit vorliegen haben wollen. Sie sind eben schnell. Daher brauchen wir euch alle, egal, ob Creative Director oder Facilitymanager. Es wird Provisionen geben. Das Ministerium lässt sich die Kampagne etwas kosten. Ihr bleibt die vollen 24 Stunden hier. Jede Idee wird hier vorne« — Milo zeigt auf eine sehr lange Tafel aus Glas, die mitten im Raum steht und beiderseitig mit Markern beschriftet werden kann - »aufgeschrieben. Zensiert nichts. Lasst es raus. Wir brauchen Ergebnisse. In zwei Stunden machen wir das erste Meeting zum Zwischenstand. Auf geht's!«
    Die Texter, Grafiker, Praktikanten, Empfangsdamen, Putzfrauen, Putzmänner, Postbearbeiter und Angehörigen verteilen sich im Raum, an den Kaffeemaschinen, im Hof. Ein paar gehen zu den Aufzügen und fahren zum Denken aufs Dach.
    Hartmut bedeutet Caterina, Susanne und mir, ihm in den Keller zu folgen. Wir ziehen uns ein paar Becher Kaffee und machen das. Er führt uns in den Retro-Partykeller, zieht die Tür zu, geht hinter die Theke, zapft zu den Kaffees ein paar Bier und eine Limo für die schwangere Susanne, legt eine Platte von den Go-Betweens auf und sagt: »Das mache ich nicht!«
    Caterina, die mit mir und Susanne vor der Theke sitzt, verschluckt sich an ihrem Kaffee. »Wie, das machst du nicht?«
    »Diese Kampagne für das Ministerium. Ich mache da nicht mit. Und ihr solltet es auch nicht.«
    Wir drei schauen der Platte zu, wie sie sich auf dem alten Gerät dreht. Grant McLennan singt: »He was brought up in a house of women / In a city of heat that gave its children / faith in the fable of coral and fish / told them the world was something to miss.«
    Hartmut sagt: »Das war schon vor zwei Jahren abzusehen. Wenn die Lebensmittelpreise fielen, sagten sie, die Industrie drehe den Menschen nur Billigfraß an. Wenn die Preise stiegen, sagten sie, es sei obszön, dass sich niemand mehr das Nötigste leisten kann. Ging niemand aus den schlechten Stadtvierteln ins Museum, beklagten sie die Abtrennung der einfachen Schichten von der Kultur. Kamen die einfachen Schichten und krakeelten vor Robert Rymans weißen Flächen herum, dass sie das auch könnten, beklagten sie den Verfall einer Museumslandschaft, die jeder Depp mit seinen Kommentaren entweihen darf. Kauften die Leute wie die Bekloppten, warnten sie vor den Folgen der westlichen Wettbewerbsgesellschaft. Kaufte niemand, warnten sie vor den Folgen einer Wirtschaftskrise durch mangelnde Nachfrage. Untersuchten sie in ihren Fernsehsendungen übergewichtige Kandidaten und fanden weder Bluthochdruck noch Anzeichen irgendeiner Krankheit, sagten sie: >Aber wenn Sie noch mehr zunehmen, dann ist Ihnen der Herzinfarkt sicher!< Mussten sie lesen, dass die Population der Berggorillas wieder zu- statt abnimmt, lautete die Schlagzeile hinterher: >Nur noch 50.000 Berggorillas weltweit!< Diese Leute werden niemals aufhören, alles in Grund und Boden zu warnen, und jetzt haben sie die Macht, alles zu tun, was sie wollen! Ich kann das nicht mittragen. Nicht auf Seiten des Propagandaministeriums. Und ihr könnt das auch nicht.«

     
    »Wovon sollen wir die Miete zahlen?«, fragt Caterina.
    »Die Babysachen?«, fragt Susanne.
    »Wir machen halt noch schneller bei der Gründung der Firma mit angeschlossener Wohnung. Dafür lohnt es sich, 24 Stunden wach zu bleiben. Und gerade als Werber wissen wir doch, dass MyTaxi einschlagen wird. Wir ...«, und jetzt bekommt Hartmut dieses blaugrüne Leuchten in seinen Augen, das einfach jeden mitreißen muss, der nicht durch zehn Jahre Beamtentätigkeit in der Sozialversicherungsbehörde dem Wachkoma nahe gebracht wurde, »wir beginnen sofort mit der Werbung für unser Produkt. Wie ich schon sagte: wie Bill Gates damals! Wir haben doch alle Kontakte. Zu den Medien. Zur Presse. Wir wissen doch, wie das geht. Wir machen den Leuten den Mund wässerig!« Er zeichnet mit der rechten Hand ein imaginäres Banner in die Luft: »Ab

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