Feindesland
»Nein!«, so wie andere »Hallo!« oder »Guten Tag!« sagen.
Ich stelle Susanne den zweiten Tee hin.
»Bist du dir sicher?«
»Susanne, wenn du mich immer so fragst, dann fühle ich mich unter Druck gesetzt.«
»Mutter, ich habe eigentlich überhaupt keine Zeit. Ich gründe eine Firma. Wir haben Termine.«
»Ja, gut, dann lassen wir das jetzt. Dann frage ich nachher den Pana!«
Auf diesen Satz antwortet Susanne nicht sofort. Wie sie uns jetzt ansieht, das Telefon noch am Ohr, so würde die Kanzlerin gucken, erklärte das Saarland mit einem Mal seine Autonomie und würde Frankreich diese sofort anerkennen.
»Das ist jetzt nicht dein Ernst, Mutter, oder? Erst fragst du mich hier eine Stunde lang aus, und dann soll alles auch noch umsonst gewesen sein, oder was? Dann ist es auf einmal nicht mehr so dringend, und du fragst nachher den Pana?«
»Ja, wenn du doch keine Zeit hast, Kind.«
»Hmmmmmrrrrrruaaaaaaahhh!!!!!«, schreit Susanne und hält das Telefon derweil weit von sich. Der Stehtisch wackelt. Leute sehen sich um. Ich frage Hartmut flüsternd ins Ohr, wer eigentlich der Pana ist. Er zuckt mit den Schultern. Im Telefon schluchzt die Mutter. Susanne hält es sich wieder ans Ohr. »Mutter, du hörst mir jetzt genau zu, verstehst du? Du hörst genau hin, und du sagst nicht schon >Da ist nix!<, noch bevor ich meine Frage zu Ende gestellt habe.«
»Okay.« Jetzt klingt die Mutter kleinlaut.
»Also, in der Ordnerliste gibt es einen Ordner, der heißt >Norton Anti-Spam-Ordner<.«
»Ja, der. Der ist gefettet. Das ist klar.«
»Aha. Das ist also klar.«
»Der ist ja immer gefettet.«
»Ist er das?«
»Ja.«
»Dann geh mal da drauf.« Die Mutter geht drauf. »Oh.«
»>Oh< heißt?«
»Da ist die Mail mit dem Bild.« »Sag bloß.«
»Und da ist auch Post von Onkel Gustav und der Tante Marlies. Die hatten mir vor zwei Wochen geschrieben. Ich sag: Gustav, ich weiß auch nicht, wo das abgeblieben ist.<«
»Mutter?«
»Ja?«
»Reicht dir das jetzt erst mal? Eigentlich müsste ich dir jetzt noch erklären, wie man dem Programm sagt, welche Mails nun doch kein Spam sind, aber ich habe einfach keine Kraft mehr.«
»Das verstehe ich Kind, du hast ja auch Termine.«
»Ich danke dir.«
»Ich gucke mir jetzt einfach das Foto an, und dann reicht es mir auch für heute.« »Tu das!«
»Okay, mein Kind, dann bis die Tage.« »Bis dann, Mama.« Susanne atmet auf.
Hartmut zeigt auf eine kleine Menschentraube, die sich um einen Tisch neben einer weiteren Bude versammelt hat.
Er geht hin, ich folge ihm. Auf der Sitzbank hockt in großer Gemütsruhe ein Mann und erzählt den Umsitzenden Geschichten. Er hat einen fremdländischen Akzent und eine weise, tiefe Stimme. Die Menschen hängen an seinen Lippen.
Eine ältere Frau neben uns steckt ihre Nase ebenso neugierig ins Bild wie wir.
Sie fragt einen der Zuhörer: »Entschuldigen Sie, wer ist das?«
Der Zuhörer sagt: »Das ist der Albaner.«
Die Frau sagt: »Oh, den hätte ich mir aber anders vorgestellt.«
Das Bürger VZ
Der Grund, warum Hartmut, ich und Susanne gemeinsam in die Werbeagentur kommen sollten, ist das größte gemeinsame Brainstorming, das dieses Haus jemals gesehen hat. Alle Abteilungen wurden dafür unten im Foyer zusammengerufen, selbst Hausmeister Gerd, die Reinigungskräfte und die Angehörigen der Angestellten sind aufgerufen, sich zu beteiligen. Die Chefs haben Panik, da der neue Kunde innerhalb von nur 24 Stunden eine fertige Kampagne auf dem Tisch sehen will. Welcher Kunde kann so was wollen? Natürlich, es ist die neue Regierung oder besser gesagt: das Moralministerium. Sie zahlen galaktisch gut. Und wie wir schon bemerkt haben, setzen sie ihre Beschlüsse in einem Tempo um, das keinen Schlaf duldet.
An der Wand links von der Treppe, die zu Frühstücksraum und Keller führt, sind ein Dutzend Kaffeeautomaten aufgebaut worden. Gegenüber steht ein Tisch mit Obst, Wasser und Energydrinks. Es sind so viele Menschen anwesend, dass die Kleineren von ihnen schon in Wandaussparungen hocken wie schattenhafte, lederhäutige Dämonen. Milo nimmt ein kabelloses Mikrofon und verkündet die gestellte Aufgabe:
»Ihr alle habt mitbekommen, was in den letzten drei Monaten von der Regierung an neuen Gesetzen erlassen wurde. Die höhere Mehrwertsteuer auf gewalttätige Unterhaltungsprodukte. Die City-Maut. Die Diversifikationssteuer auf alle Produktvariationen, welche die Anzahl sieben überschreiten. Die Besteuerung von Bettelei und ihre
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