Feine Familie
sie in den Garten hinaus. Nachdem die Welt, in der sie aufgewachsen war, zusammengebrochen war und ihre Familie sich als ein Haufen erbärmlicher Feiglinge entpuppt hatte, mußte sie sich eben selbst eine neue Welt schaffen. Sie wollte die Ehre des Namens Petrefact wiederherstellen, auch wenn das allem Anschein nach erforderte, diesen Namen erst zu entehren. Sie hatte den festen Vorsatz gefaßt, daß Professor Waiden Yapp seine Gefängnisstrafe nicht absitzen würde. Sie würde den Lauf der sogenannten Gerechtigkeit umkehren, bis Yapp rehabilitiert und auf freiem Fuß war.
Währenddessen spukte unablässig die anonyme Gestalt des wahren Mörders in ihrem Kopf herum. Wenn er sich stellte ... Nein, das würde er nicht tun. Leute, die Zwerge ermordeten, lieferten sich nicht freiwillig der Polizei aus, weil ihre Verbrechen einem anderen angelastet wurden. Ihre eigene Familie hatte, nur um der mit dem Besitz einer Sexartikelfabrik verbundenen negativen Publicity zu entgehen, voller Genugtuung mit angesehen, wie ein unschuldiger Mensch ins Gefängnis wanderte. Um wieviel mehr Grund zur Freude hatte dann der wirkliche Mörder. Aber ohne den ... Emmelias Gedankengang wurde abrupt durch das plötzliche Auftauchen eines Dutzends Zwerge beim Goldfischteich unterbrochen. Im Zwielicht schien es Emmelia einen grausigen Augenblick lang, als seien sie lebendig. Dann fiel ihr ein, daß sie Rosie erlaubt hatte, die gesamte Gartenzier aus der Rabbitry Road hierher zu bringen und sie um den Teich aufzubauen, wo sie in ihrer geschmacklosen Penetranz der Eleganz der hermaphroditischen Brunnennymphe zu spotten schien. Emmelia setzte sich auf eine Holzbank und betrachtete versonnen die grotesken Andenken an den verblichenen Willy Coppett. Und dabei keimte ganz allmählich eine Idee – keimte, erblühte und trug Früchte. Eine halbe Stunde später stand Frederick, telefonisch aus dem Sozial-Konservativen Arbeiterclub von Buscott herbeordert, vor seiner Tante im Salon.
»Zwerge?« sagte er. »Was zum Kuckuck willst du denn mit Zwergen?«
»Ich will ihre Namen und Adressen«, sagte Emmelia. »Und ich soll sie für dich ausfindig machen?«
»Genau.«
Frederick betrachtete sie skeptisch. »Und du willst mir nicht sagen, zu welchem Zweck?«
Emmelia schüttelte den Kopf. »Ich kann dir lediglich verraten, daß es in deinem eigenen Interesse ist, sie ausfindig zu machen. Natürlich wirst du dabei anonym vorgehen.« Frederick überdachte sein Interesse und konnte es nur schwerlich in Einklang mit der anonymen Suche nach Zwergen bringen. »Vielleicht könnte ich ja die hiesige Arbeitsvermittlung anrufen, aber die finden es sicher etwas seltsam, wenn ich mich weigere, Namen und Adresse anzugeben. Und abgesehen davon, was soll ich denn sagen, wenn sie wissen wollen, wofür ich Zwerge brauche?«
»Da mußt du dir eben etwas einfallen lassen. Und paß bloß auf, daß sie nicht dahinterkommen, wer du bist. Das ist das eine. Das andere ist, daß du unser kleines Gespräch gleich wieder vergessen wirst. Was dich betrifft, so hat es nie stattgefunden. Ist das klar?«
»Ungefähr«, sagte Frederick.
»In diesem Fall werde ich dir die Sache noch mal in einer Sprache erklären, die du verstehst. Ich habe beschlossen, mein Testament zu deinen Gunsten zu ändern. Bisher hatte ich die Absicht, meine Anteile am Familienunternehmen allen Neffen und Nichten zu gleichen Teilen zu hinterlassen. Jetzt sollst du alles erben.«
»Sehr nett von dir, das muß ich schon sagen. Wirklich, sehr großzügig«, sagte Frederick, dem allmählich dämmerte, daß es ohne Zweifel in seinem Interesse lag, das zu tun, was Tante Emmelia verlangte.
Emmelia betrachtete ihn voller Verachtung. »Nichts dergleichen«, sagte sie schließlich. »Es ist nur die einzige Möglichkeit, mich zu vergewissern, daß du den Mund hältst, was auch immer passiert. Solltest du das nicht tun, werde ich das Testament ändern und dir nicht einen Penny hinterlassen.«
»Keine Angst«, sagte Frederick grinsend. »Kein Wort wird über meine Lippen kommen. Wenn du Zwerge willst, sollst du Zwerge kriegen.«
»Nur ihre Namen und Adressen, wohlgemerkt«, sagte Emmelia und entließ ihn mit dieser höchst sonderbaren Bemerkung. Nachdem sie wieder allein war, blieb sie noch eine Zeitlang sitzen und bereitete sich auf ihren nächsten Schritt vor. Um zwölf Uhr verließ sie das Haus mit einer großen Einkaufstasche und einer Taschenlampe und ging zur Mühle hinunter. Sie schlüpfte durch einen Seiteneingang
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