Feine Familie
dann müssen wir uns eben mit denen da zufriedengeben. Und vergiß nicht, wenn irgend jemand auch nur eine Silbe von der Sache erfährt, hast du ein für allemal die Chance verspielt, den Platz deines Vaters als Oberhaupt des Familienunternehmens einzunehmen, ganz abgesehen davon, daß du dich wegen Anstiftung zu einem Verbrechen verantworten müßtest.«
»Was für ein Verbrechen denn?« fragte Frederick, erkannte aber im selben Augenblick, daß er es gar nicht wissen wollte.
Was immer Tante Emmelia im Schilde führte, er wollte da nicht hineingezogen werden. Und nachdem er ihr das gesagt hatte, verließ er das Haus fuhr auf dem schnellsten Weg nach London, um sich nicht noch weiter in ihre Angelegenheiten verstricken zu lassen, und traf eilige Vorbereitungen für einen Urlaub in Spanien.
Während der folgenden Woche traf Emmelia weitere Vorbereitungen. Sie kaufte in Briskerton einen Gebrauchtwagen, fuhr damit in die Dörfer und Städte und sah sich die Häuser an, in denen die acht Damen, die geantwortet hatten, wohnten. Für ihre Verhältnisse verhielt sie sich derart ungewöhnlich, daß sich sogar Annie darüber wunderte. »Ich kann mir nicht vorstellen, was in sie gefahren ist«, sagte sie zu Rosie, die sie mit dem Abwasch beauftragt hatte. »Seit Jahren hat sie den Garten kaum verlassen, und jetzt saust sie in der Gegend herum wie ichweißnichtwas.«
Das war eine zutreffende Beobachtung, die zuzeiten Emmelias eigenem Gefühl entsprach. Sie wußte auch nicht, was – was aus der alten Emmelia geworden war; was mit ihrer Verantwortung gegenüber der Familie geschehen war; was sie jetzt war. Nur das Wie interessierte sie. Das und die Gewißheit, daß sie sich nicht mehr langweilte und die Eintönigkeit ihres Lebens sie nicht mehr dazu veranlaßte, ihren Verwandten lange Briefe zu schreiben, in denen sie jemand zu sein vorgab, der sie offenbar nie gewesen war – eine liebe, gutmütige und nette ältere Dame.
Statt dessen kristallisierten sich – paradoxerweise als Reaktion auf die Erschütterung, die ihre naive Sicht einer freundlichen Welt durch die Verurteilung eines törichten, aber unschuldigen Mannes erfahren hatte – aus ihrem Charakter plötzlich rauhe und fast brutale Züge heraus. Lord Broadmoor hatte sie eine Virago genannt. Emmelia schlug das Wort in ihrem Wörterbuch nach und entdeckte als seine ursprüngliche Bedeutung: »Eine Frau mit männlicher Stärke und Beherztheit
(lat. = weiblicher Krieger)«. Alles in allem war das eine treffende Beschreibung ihres gegenwärtigen Zustandes, und es tat gut zu wissen, daß schon die Römer gewisse Frauen so beschrieben hatten. Das stellte sie in eine noch ältere Tradition als die der Petrefactschen Abstammung. Freilich blieben Relikte ihres alten Selbst zurück, so daß sie nachts entsetzt über das, was sie zu tun plante, aus dem Schlaf hochschreckte. Um diese Anflüge von Panik zu ersticken, zementierte sie ihren Entschluß, indem sie die Times von der ersten bis zur letzten Seite las und Annie und Rosie einen ganzen Abend lang beim Fernsehen in der Stiefelkammer Gesellschaft leistete. Nach dieser Konfrontation mit konzentriertem Irrsinn und geballter Gewalt war sie dann wieder ganz versöhnt mit der relativen Harmlosigkeit ihrer eigenen Absichten. In einem Club in Texas hatte ein Mann zweiundzwanzig Menschen »einfach so aus Spaß« verbrannt; in Teheran waren noch mehr Menschen wegen »Gotteslästerung« von einem Mordkomnando erschossen worden; in Ulster war wieder ein britischer Soldat getötet worden, der vermutlich versucht hatte, Katholiken und Protestanten daran zu hindern, sich gegenseitig niederzumetzeln; und ein vierzehnjähriger Babysitter hatte das ihm anvertraute Kind aus dem Fenster geworfen, weil es nicht zu schreien aufhören wollte. Als ob diese Akte sinnloser Gewalt noch nicht ausgereicht hätten, sie von der Verrücktheit der Welt zu überzeugen, gab es auch noch Fernsehserien, in denen Detektive reihenweise mutmaßliche Verbrecher erschossen oder selbst abgeknallt wurden, und dies mit einer Begeisterung, die Annie und Rosie und vermutlich Millionen anderer Zuschauer durchaus teilten.
Aus diesen Sitzungen ging Emmelia mit ruhigem Gewissen hervor. Wenn sich der Rest der Welt so irrational verhielt und so belanglosen Motiven folgte, hatte sie keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Im Verlauf eines Monats hatte sie sich bis zur Unkenntlichkeit verändert. Nach außen hin blieb Miss Emmelia Petrefact die nette, alte Dame, die ihre
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