Feine Familie
keinerlei Zweifel daran ließen, daß Yapp ungeachtet seines Auftretens eine erhebliche subversive Macht darstellte. Diese Überlegungen stellte Lord Petrefact an, während er weiterhin an seiner Milch nippte und sich über die Notwendigkeit besserer Ausbildungschancen für junge Menschen mit einer leicht melancholisch angehauchten, gedämpften Begeisterung verbreitete, die er freilich nicht empfand.
Croxley, der sich in seinem Harris-Tweed-Jackett recht unwohl fühlte, saß in einer Ecke und hörte zu. Er hatte Lord Petrefact in der Rolle des menschenfreundlichen Invaliden schon früher erlebt. Nachdem er Waiden Yapp einen zweiten Whisky eingeschenkt und gesehen hatte, wie dieser ihn hinunterkippte, sobald der Mietbutler verkündete, daß angerichtet sei, bekam er allmählich Mitleid mit dem armen Esel. Um gegen dieses Mitgefühl gefeit zu sein, mußte er sich erst vergegenwärtigen, daß Yapp in Anbetracht seiner akademischen Karriere nicht so schwachköpfig sein konnte, wie er wirkte. Croxley, der vor der Einführung des kostenlosen Universitätsstudiums aufgewachsen war, beneidete Yapp um seine Chancen und seinen Erfolg.
Wenigstens war es Croxley gelungen, die magenfeindlicheren Konsequenzen des Dinners abzumildern. Er hatte dafür gesorgtdaß die Schildkrötensuppe aus der Dose kam und die Geflügelpastete so bescheiden wie möglich ausfiel. Nur das Spanferkel stellte ein Problem dar. Was der Metzger geliefert hatte, war nie und nimmer von den Zitzen seiner Mutter weggerissen worden – wenn doch, dann war es nie entwöhnt worden. Das Vieh war ein ausgewachsener Eber, der die Ausmaße des Backrohrs sprengte und die Kochkünste des Küchenchefs überstrapazierte. Gebraten konnte er überhaupt nur werden, nachdem man das Mittelstück herausgeschnitten und Kopf und Hinterteil wieder zusammengenäht hatte. Croxley, der diese Operation überwacht hatte, kämpfte schwer mit sich, ob er ihm einen Apfel zwischen die Hauer stecken sollte oder nicht. Am Ende entschloß er sich wie üblich dazu, in etwa das zu tun, was man ihm aufgetragen hatte. Aber schon jetzt graute ihm vor Lord Petrefacts Reaktion.
Als er Yapp ins Speisezimmer folgte, war er versucht, noch kurz mit seinem Herrn zu sprechen, aber Lord Petrefact hatte bereits seinen Platz oben an der Tafel eingenommen und betrachtete den Schildkrötenpanzer mit ehrlichem Bedauern. »Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht Gesellschaft leisten«, erklärte Yapp. »Die Ärzte haben mir strenge Diät verordnet, müssen Sie wissen. Und überhaupt bin ich ganz entschieden dagegen, daß man in freier Wildbahn lebende Tiere einfach für den menschlichen Verzehr abschlachtet.« Er warf Croxley einen vorwurfsvollen Blick zu. »Es erstaunt mich sehr, daß Sie echte Schildkrötensuppe geordert haben.«
Croxley gab den vorwurfsvollen Blick zurück. Was genug war, war genug. »Habe ich nicht«, sagte er. »Der Panzer stammt aus dem Aquarium in Lowestoft und der Inhalt von Fortnum & Mason.«
»Wirklich?« sagte Lord Petrefact. Dabei gelang es ihm, Yapp mit einer Gesichtshälfte zuzulächeln und gleichzeitig Croxley mit der anderen anzufunkeln. Letzteren bewahrte Yapp vor weiteren Unannehmlichkeiten, indem er sich in einen Exkurs über den Ursprung der Mockturtle-Suppe stürzte. Langsam begann er die Sache zu genießen. Trotz aller Vorbehalte hinsichtlich der Herkunft des Petrefactschen Reichtums – und an denen gab es nichts zu rütteln versöhnte ihn im Augenblick der faszinierende Gedanke, daß er Zeuge dessen wurde, wie die Reichen wirklich lebten. Es war, wie Croxley bereits gesagt hatte, als besuche man ein Museum; und sollte das am Ende alles gewesen sein, so hätte Yapp, aus erster und feinster Hand, zumindest einen unmittelbaren Eindruck von der interfamiliären Soziopsychologie der kapitalistischen Klasse gewonnen. Ganz besonders beeindruckte ihn das verschrobene Verhältnis zwischen Lord Petrefact und seinem Privatsekretär. Fast kam es ihm vor, als fordere der alte Mann Croxleys Trotz heraus. Jedenfalls schien die beiden eine auf gegenseitiger Antipathie beruhende Kameradschaft zu verbinden.
»Nein, ich möchte keine zweite Portion«, sagte Croxley, als er seine Suppe aufgegessen hatte. Aber Lord Petrefact bestand darauf. »Wir dürfen Sie doch nicht verhungern lassen, mein Lieber«, sagte er mit einem irritierend schiefen Lächeln, worauf der Sekretär die Demütigung einstecken mußte, daß ihm ein Diener den Teller zum zweitenmal füllte. Beim Kaviar war es dasselbe.
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