Feine Familie
hier anzusehen, um zu erkennen, was meine Großeltern alles anstellten, um ihren hohen gesellschaftlichen Status zu demonstrieren. Und was hat es ihnen genützt? Gar nichts. Ich gehöre einer anderen Generation an, einer anderen Epoche, könnte man fast sagen, und wenn ich etwas mehr schätze als alles andere, dann die Wahrheit.« Und während er Zigarre und Cognacschwenker in einer Hand hielt, packte er Yapps Handgelenk beängstigend kräftig mit der anderen.
»Die Wahrheit, Sir, ist die letzte Domäne der Jugend. Was halten Sie von diesem geflügelten Wort?« Zu Yapps unsäglicher Erleichterung ließ Lord Petrefact sein Handgelenk los und lehnte sich sichtlich zufrieden in seinen Stuhl zurück.
»Nun, was sagen Sie dazu?« beharrte er. »Sie brauchen gar nicht erst bei La Rochefoucauld oder Voltaire nach dieser Maxime zu suchen. Sie stammt von mir ganz allein, und trotzdem ist sie wahr.«
»Ein interessanter Gedanke, gewiß«, sagte Yapp, ohne sicher zu sein, daß er vollkommen verstanden hatte, was der ungewöhnliche alte Mann damit meinte. Aber er spürte, daß es für ihn wichtig war.
»Ja, die Wahrheit ist die letzte Domäne der Jugend. Und solange ein Mann bereit ist, der Wahrheit ins Auge zu blicken und in diesem Spiegel seine Fehler zu erkennen, soll es keiner wagen, ihn alt zu nennen.«
Und nachdem er diese stark nach Churchill, Beaverbrook und womöglich Baldwin klingende Sentenz losgeworden war, blies Lord Petrefact einen vollendeten Rauchkringel in die Luft. Fasziniert blickte Yapp ihm nach, wie er gleich einer sich verflüchtigenden Gestalt auf den Kamin zudriftete »Wenn ich Sie recht verstehe«, sagte er, »dann wollen Sie damit ausdrücken, daß Sie gewillt sind, mir bei meinen Nachforschungen über die Familie Petrefact freie Hand zu lassen, mir sämtliche wirtschaftlichen und finanziellen Unterlagen zur Verfügung zu stellen und sich nicht in meine aus diesem Material gewonnenen sozioökonomischen Schlußfolgerungen einzumischen.«
»Genau«, sagte Lord Petrefact, »besser hätte ich es selbst nicht formulieren können.«
Yapp nippte an seinem Cognac und wunderte sich über diese erstaunliche Großzügigkeit. Er hatte sich fest vorgenommen, das Angebot bei dem leisesten Hinweis darauf, daß man von ihm eine Lobhudelei auf die Petrefacts erwartete, abzulehnen – und hatte sich eigentlich schon darauf gefreut, seine erhabenen Prinzipien unter Beweis zu stellen. Und nichts hatte er weniger erwartet, als daß man ihm völlig freie Hand lassen würde. Das mußte er erst einmal verdauen. Lord Petrefact musterte ihn eindringlich und genoß seine Verwirrung. »Völlig ungehindert, Sir«, sagte er in dem deutlichen Gefühl, daß sich das Schwein gelohnt hatte. »Sie können gehen, wohin Sie wollen, erhalten Zugang zu sämtlichen Dokumenten, die Sie sehen möchten, können mit jedem reden, bekommen Einblick in die gesamte Korrespondenz – und davon gibt es jede Menge, das kann ich Ihnen versichern, auch ziemlich aufschlußreiches Zeug –, und all das für die ...« Gerade noch rechtzeitig verkniff er sich die »fürstliche Summe«. Es hatte keinen Zweck, den jungen Esel jetzt, wo er ihn an der Angel hatte, vor den Kopf zu stoßen. Statt dessen griff er in die Tasche und zog einen Schriftsatz heraus. »Hunderttausend Pfund. Hier ist der Vertrag. Zwanzigtausend bei Unterzeichnung, weitere zwanzigtausend bei Fertigstellung des Manuskripts und sechzigtausend bei Veröffentlichung. Ein faireres Angebot kann ich Ihnen nicht machen. Lesen Sie alles genau durch, lassen Sie es überprüfen, von wem Sie wollen – Sie werden keinen Haken darin finden. Ich habe den Vertrag selbst aufgesetzt, also weiß ich Bescheid.«
»Das muß ich mir erst durch den Kopf gehen lassen«, meinte Yapp, wobei er gegen eine nie erlebte Euphorie ankämpfte. Als wollte er andeuten, daß er der letzte sei, der jemanden durch seine Anwesenheit unter Druck setzen wolle, rollte Lord Petrefact quer durchs Zimmer zur Tür, forderte Yapp nochmals auf, sich nach Belieben an der Hausbar zu bedienen und die Lichter ruhig anzulassen, da sich das Personal schon darum kümmern werde, wünschte ihm eine gute Nacht und war verschwunden. Yapp blieb sitzen, noch ganz benommen von den überraschenden Ereignissen des Abends und dem berauschenden Gefühl, einen der letzten großen kapitalistischen Räuberbarone erlebt zu haben. Zwanzigtausend Pfund bei Unterzeichnung und zwanzigtausend ... Und keine Auflagen. Absolut nichts, was ihn daran hindern
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