Feine Familie
phänomenaler Schläfer, litt in dieser Nacht unter Schlaflosigkeit. Zwar war es ihm gelungen, dem unmittelbaren Zorn Lord Petrefacts wegen des improvisierten Spanferkels zu entfliehen, aber am Morgen würde er unweigerlich einen Wutausbruch erleben. Croxley fand sich mit dem Unvermeidlichen ab. Mochte der alte Mann ihn zur Hölle wünschen – er kannte seinen Wert und wußte, daß sein Job nicht in Gefahr war. Nein, hier ging etwas weitaus Heimtückischeres vor, und diesmal hatte Croxley keinerlei Einblick in Lord Petrefacts Motive. Warum nur hatte er diesen subversiven Gelehrten nach Fawcett eingeladen? Das überstieg Croxleys Vorstellungsvermögen. Und während sich Lord Petrefact wegen der enormen Summe, die er Yapp für seine Nachforschungen geboten hatte, verfluchte, ärgerte sich Croxley darüber, daß er die Gelegenheit bei Tisch nicht ergriffen und Yapp gefragt hatte, warum er hier war. Doch was immer der Grund sein mochte, gefallen hätte er Croxley sicher nicht. Als er in seinem Gedächtnis nach einem Motiv forschte, bezog sich seine einzige Vermutung auf die geplante Schließung der Fabrik in Hull. Die stand ziemlich sicher auf dem Programm. Und vielleicht kam Yapp ja als Schlichter in dieser Auseinandersetzung in Frage. Falls dem so war, versuchte der alte Mann womöglich, ihn zu kaufen. Aber das war keine Erklärung dafür, daß er dem armen Teufel derart um den Bart strich. In einem halben Jahrhundert selbstauferlegter Loyalität gegenüber Lord Petrefact und bedingungsloser Ergebenheit gegenüber der Familie hatte es, soweit Croxley sich erinnerte, nur sehr wenige Gelegenheiten gegeben, bei denen der alte Mann so krampfhaft versucht hatte, seine wahren Gefühle zu verbergen. Einmal, als er Raphael Petrefacts Anteile an American Carboil brauchte, um eine Übernahme erzwingen zu können, und ein anderes Mal, als er die Unterstützung von Oscar Clapperstock haben mußte, um einen Konkurrenten in den Bankrott zu treiben. Doch abgesehen von diesen beiden für seine Geschäfte entscheidenden Situationen war Lord Petrefact stets zuverlässig unfreundlich gewesen. Dieses unbarmherzige Verfolgen des eigenen Vorteils auf Kosten persönlicher Popularität war eine der Eigenschaften, die Croxley an ihm am meisten bewunderte. Doch schließlich schlummerte auch der irritierte Croxley ein, und über Fawcett House breiteten sich das düstere Schweigen und der morbide Glanz, die so beredt an das Leid jener Millionen zu erinnern schienen, die diesen Bau ermöglicht hatten.
Der Gedanke an eben diese leidenden Millionen trieb Yapp schließlich aus dem Bett. Wie konnte er hunderttausend zu Unrecht verdiente Pfund von einem Mann annehmen, dessen stolzeste und am häufigsten publizierte Prahlerei in einer Paraphrase Churchills bestand: »Niemals im Bereich des Privatunternehmertums haben so viele so vieles einem Mann zu verdanken gehabt.« Die Vorstellung, daß er in einer Währung bezahlt wurde, die letztlich aus dem Blut, dem Schweiß, den Tränen und dem Speichel der silikosekranken Bergleute in Bolivien und Südafrika bestand – ganz zu schweigen von den Teepflückern in Sri Lanka, den Holzfällern in Kanada, Bulldozerfahrern in Queensland und in der Tat von Arbeitern aus aller Welt –, war einfach unerträglich. Und außerdem war zu bedenken, was dieser Betrag seinem eigenen, tadellosen Ruf anhaben konnte. Die Leute würden behaupten, daß Waiden Yapp sich habe kaufen lassen, daß er zum Speichellecker geworden sei, zum Werbeclown für den Petrefact-Konzern, und daß er für schäbige hunderttausend Pfund seine Prinzipien verraten habe. Sie würden ihn aus der Tribüne Group ausschließen, von der Schwelle des Transport House fortjagen, und Neutrale wie Wedgie Benn würden ihn auf der Straße schneiden. Es sei denn, er würde die gesamte Summe einem Wohltätigkeitsverein spenden, der sie verdiente, etwa der International Labour Organisation oder dem Pol-Pot- Unterstützungsfonds. Das würde seinen Kritikern sicher das Maul stopfen, und er konnte mit seiner Erforschung der von den Petrefacts angewandten Ausbeutermethoden fortfahren. Ja, das war die Lösung. Und mit dem beglückenden Gefühl, daß niemand den Namen Yapp in den Annalen des Sozialismus würde schlechtmachen können, begab er sich ins Bad und beschloß, wenn er schon nicht im selben Bett schlafen konnte wie der böse Monarch, wenigstens das vorsintflutliche Bad auszuprobieren. Damit würde er seine Erforschung der Lebensgewohnheiten der Reichen von
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