Feine Familie
früher beginnen. In diesem Fall wurden seine Erwartungen bei weitem übertroffen. Nachdem Yapp die Bedienungsanleitung nochmals durchgelesen hatte, zog er an dem mit STÖPSEL gekennzeichneten Hebel, drehte den Temperaturmesser, bis er auf vierzig Grad stand, und wartete, bis das Wasser die für die WELLEN erforderliche Zweidrittelmarke erreicht hatte. Dann drehte er den Wasserhahn zu und stieg in die gigantische Badewanne. Das heißt, er wäre hineingestiegen, wenn sich das Ding nicht plötzlich zur Seite geneigt und er die Balance verloren hätte. Kaum versuchte er den Hebel zu erwischen, als die Wanne zur anderen Seite kippte. Yapp rutschte über den Rand und kollidierte dabei mit dem Zuflußrohr. Er versuchte verzweifelt, sich daran festzuhalten, als die Wanne ihre Lage mit schaurigem Knirschen erneut veränderte und gleichzeitig zu vibrieren begann. Als Yapp, unterstützt durch ein Stück Seife, das zwischen seine Pobacken geraten war, kopfüber hineinglitt, erwischte er den Hebel und warf ihn herum. Jetzt stand er auf DÜSENMASSAGE und erfüllte sein Versprechen mit einem Elan, der nur den langen Jahren schmählicher Vernachlässigung zuzuschreiben sein konnte. Unter der Mahagoniverkleidung schoß heißes, rostgefärbtes Wasser hervor. Mit einem Aufschrei packte Yapp ein Stück Vorhang und versuchte sich daran hochzuziehen. Doch offenbar hatte die Badewanne andere, recht eigenwillige Vorstellungen. Als der Vorhang aus seiner morschen Verankerung riß und der glühende Verehrer von Computern und multiplen Funktionsweisen wieder ins Wasser und in die kochendheißen Massagestrahlen stürzte, führte die Höllenmaschinerie gleichzeitig sämtliche Funktionen vor, die ihr geisteskranker Konstrukteur für sie ersonnen hatte. Sie schaukelte, schoß scharfe Wasserstrahlen, vibrierte und stellte jetzt auch noch ihre Fähigkeit zu dampfen unter Beweis. Während aus einigen Löchern kochendes Wasser düste, krochen aus anderen Dampfwolken, die Yapps Bemühungen, an den Hebel zu gelangen und ihn auf NEUTRAL zu stellen, endgültig zum Scheitern verurteilten. Er konnte das Ding nicht einmal sehen, als er daran vorbeirutschte, geschweige denn es erwischen. Und die ganze Zeit ertönte das Stampfen und Mahlen des antiquierten Mechanismus – Yapp vermutete, daß es sich um eine besonders teuflische Abart der Dampfmaschine handelte –, der das synchronisierte Wellenbad betrieb. Dieses unausgesetzte Stampfen weckte schließlich auch Lord Petrefact im Zimmer darunter. Er öffnete die Augen und blinzelte, tastete nach seiner Brille, fand sie aber nicht. So lag er einfach da und starrte auf die üppig mit Stuck verzierte Decke. Auch ohne seine Brille war ihm klar, daß etwas Gravierendes nicht stimmte, entweder mit seiner Leber – doch dagegen sprach der Lärm – oder mit dem ganzen verdammten Haus. Im ersten Augenblick dachte er, das Gebäude würde von einem heftigen Erdbeben erschüttert, nur dauerten Erdstöße nicht ununterbrochen an. Und seines Wissens wurden sie auch nicht von einem Getöse begleitet, das sich anhörte wie eine außer Rand und Band geratene Dampfmaschine.
Ein Stuckbrocken fiel von der Decke und plumpste in sein Gebißglas, das Porträt seines Großvaters löste sich von der Wand und bohrte sich in einen Sessel. Zum Handeln zwang Lord Petrefact schließlich der rostigbraune Wasserfleck an der Decke – der und der Kronleuchter, der auf einer zunehmend größer werdenden Kreisbahn herumwirbelte. Es war nicht abzusehen, was passieren würde, wenn das verdammte Ding herunterkrachte, und Lord Petrefact hatte nicht die Absicht, im Bett liegenzubleiben, um es herauszufinden. Mit einer für einen an sich bewegungsunfähigen Mann erstaunlichen Behendigkeit warf er sich aus dem Bett und versuchte, seinen Rollstuhl und den rettenden roten Knopf zu erreichen. Zu spät. Die Kette, an der der Kronleuchter hing, hielt der Belastung nicht länger stand; genaugenommen war es das ganze Deckenstück. Unappetitlich ächzend gab die ganze Chose nach und krachte mit dem ohrenbetäubenden Geklirr berstenden Kristalls zu Boden. Inmitten dieses Chaos wußte Lord Petrefact nur eines: Er mußte den roten Knopf erreichen, bevor er erschlagen, in Stücke gerissen oder ertränkt wurde. Aus dem Loch in der Decke schoß ein Schwall dreckigbrauner Brühe. Aber schon drohte eine neue Gefahr.
Ein Mörtelbrocken, der sich von der Decke gelöst hatte, donnerte auf den Rollstuhl – ausgerechnet auf die lebensrettenden Knöpfe – und setzte
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