Feine Familie
behagte.
»Na gut, dann müssen wir den verdammten Stier wohl bei den Hörnern packen«, murmelte er nach einer Weile.
»Welchen denn?« fragte Willy.
»Was welchen?«
»Stier.«
»Stier? Wovon zum Teufel reden Sie?«
Willy versank wieder in ehrfürchtiges Schweigen, und noch bevor die Frage zufriedenstellend beantwortet werden konnte, war sein Geld verbraucht und die Verbindung unterbrochen. Willy seufzte erleichtert auf, kletterte von seinem Bierkasten herunter und kehrte an den Tresen zurück. Yapp war noch immer intensiv mit Mr. Teedle beschäftigt, so daß Willy sich in aller Ruhe zum Essen und seinem Bier niedersetzen konnte. Unterdessen schenkte Frederick sich in seinem Büro einen doppelten Whisky ein und verfluchte zum hundertsten Mal seinen Vater. Der alte Satan mußte wissen, was er da anstellte und daß er nicht nur die übrige Familie in Gefahr brachte, sondern auch seine eigene gesellschaftliche Stellung aufs Spiel setzte, indem er Yapp nach Buscott schickte. Irgendwie paßte das alles nicht zusammen. Wenigstens die Idee mit dem Streik und den Streikposten, die Yapp verjagt hatten, war gut gewesen. Und mit der beruhigenden Überlegung, daß Tante Emmelia zum Glück ein Einsiedlerdasein führte und kaum jemals die Abgeschiedenheit ihres perfekt gepflegten Gartens verließ, begab er sich zum Lunch.
Kapitel 13
Diesmal hatte er sich ausnahmsweise verrechnet. Zwar lebte Emmelia Petrefact getreu der Familientradition extrem zurückgezogen, aber von ihren Katzen konnte man das nicht behaupten. Sie führten ein recht geselliges Leben und frönten der Promiskuität – meist in anderer Leute Gärten. Und so geschah es, daß Emmelia eines Tages im Anschluß an ein wenig dezentes Ständchen, das ihr siamesischer Liebling Blueboy seiner Angebeteten unter Major Forlongs Schlafzimmerfenster dargebracht hatte und das vom Major erstaunlich treffsicher mittels einer Blumenvase abgeschmettert worden war, das halb kastrierte Tier zum Veterinär brachte und bei dieser Gelegenheit die Streikposten vor dem Fabriktor sah. Sie zögerte einen Augenblick, länger nicht. Möglich, daß sie Blueboys Namen würde ändern müssen, aber der der Petrefacts durfte keinesfalls durch Streiks beschmutzt werden. Nachdem sie ihrem Chauffeur befohlen hatte, anzuhalten und den angeschlagenen Kater zum Tierarzt zu bringen, stieg sie aus ihrem 1937er Daimler und überquerte energisch die Straße.
»Was hat das zu bedeuten?« fuhr sie die Streikposten an und hatte, bevor diese auch nur zu einer Erklärung ansetzen konnten, die Kette durchbrochen und sich einen Weg in die Fabrik gebahnt.
»Wo ist Mr. Petrefact?« herrschte sie die Dame am Empfang so gebieterisch an, daß es dieser die Sprache verschlug. Tante Emmelia marschierte weiter. Fredericks Büro war leer. Emmelia drang in die erste Werkhalle vor, wo zu ihrer Überraschung die Frauen an den Nähmaschinen saßen und arbeiteten. Doch mehr noch als der fehlende Hinweis auf einen Streik erstaunte sie die Art der Kleidungsstücke, die sie herstellten. »Kann ich irgend etwas für Sie tun?« fragte eine Vorarbeiterin. Emmelia starrte auf ein zwickelloses Höschen aus feuchtglänzendem Material, das eine der Näherinnen mit Sämischleder fütterte. Angesichts dieses blanken Horrors fehlten ihr die Worte.
»Das ist einer unserer beliebtesten Artikel«, erklärte die Vorarbeiterin. »Vor allem in Deutschland ist die Nachfrage ungeheuer.«
Ihre Worte erreichten Emmelia nur unterschwellig. Ihr Abscheu richtete sich jetzt auf eine Frau, die Haare auf etwas nähte, das grausig nach einem kahlen Schamhügel aussah. »Und wo kommt das hin?« fragte sie unwillkürlich. »Hier«, sagte die Vorarbeiterin und zeigte auf die Leiste einer unverkennbar männlichen Schaufensterpuppe. »Das ist eine Happy Susi. Die Riemen werden hinten befestigt.«
»Wozu?«
»Damit das Ding nicht verrutscht, natürlich.«
»Natürlich«, sagte Emmelia derart benommen von den überwältigenden sinnlichen Eindrücken, daß das, was sie als empörten Ausruf intendiert hatte, seine ganze Emphase verlor. »Und kaufen viele Leute solche Dinger?«
»Da müssen Sie die Verkaufsabteilung fragen, aber ich denke schon. Sonst hätten wir in diesem Jahr nicht eine Produktionssteigerung von dreißig Prozent.« Emmelia riß sich von dem abstoßenden Utensil los und wanderte durch die Reihen der Frauen, die Plastiktrikots, aufblasbare Busen und Lederkorsetts herstellten. Was sie da sah, war schlichtweg ekelerregend und stand in
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