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Feine Familie

Feine Familie

Titel: Feine Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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in die Stadtbibliothek ging, um sich dort Bücher über die Lokalgeschichte herauszusuchen, reagierte die Bibliothekarin ziemlich eisig und war wenig hilfsbereit. Sogar die Damen in der Teestube, die ihm Rabbitry Road als Quartier vorgeschlagen hatte, stellten ihre Unterhaltung ein, sobald er hereinkam und eine Tasse Kaffee bestellte. Und kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, begann das Geschnatter von neuem. Es war alles höchst rätselhaft und verwirrend. Zwischendurch überlegte er kurz, ob er vielleicht ein Kleidungsstück trug, das den guten Geschmack verletzte oder bei abergläubischen Menschen als schlechtes Omen galt. Aber er konnte an seiner Kleidung nichts entdecken, was sich gravierend von der anderer Leute unterschieden hätte. Hätte er sich die Mühe gemacht, sich umzusehen, hätte er den Grund dafür, daß man ihn schnitt, entdeckt: einen aufgeregten Willy, dessen wüste Grimassen und herumfuchtelnden Zeigefinger auch der Begriffsstutzigste als Warnung davor verstand, sich mit Yapp einzulassen. Aber Yapp war zu sehr in seine theoretischen Mutmaßungen verstrickt, um seinen reduzierten Schatten zu bemerken. Einer der Grundsätze seines ideologischen Credos besagte, daß sich jede Stadt in räumliche Kategorien sozio-ökonomischer Klassenunterschiede aufteilen ließ. Einmal hatte er Monate damit zugebracht, Doris, den Computer, mit Daten über Macclesfield und den Antworten der Befragten, die seine engagierten Studenten nach dem Zufallsprinzip zusammengetragen hatten, zu futtern, und war zu der nicht sonderlich überraschenden Erkenntnis gelangt, daß in den wohlhabenderen Bezirken tendenziell eher Tory-Wähler wohnten, während die ärmeren Viertel zumeist von Labour- Anhängern bevölkert waren.
    In Buscott hingegen schien eine sonderbare Diskrepanz zwischen diesem simplen Grundprinzip und den Tatsachen zu herrschen. Nachdem Yapp festgestellt hatte, daß kein Mensch dazu bereit war, über die Mühle oder die Petrefacts auszupacken – Yapp schrieb es der Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes oder der Wohnung zu –, war er dazu übergegangen, die Leute über ihre politischen Ansichten zu befragen, was zur Folge hatte, daß er zu hören bekam, er solle sich gefälligst um seinen eigenen Scheißkram kümmern, oder daß ihm die Türen vor der Nase zugeknallt wurden. Es war alles recht entmutigend, zumal es ihm nicht einmal gelang, irgendwelche echten Härtefälle oder Mißstände zu entdecken. Als sich ein etwas gesprächigerer alter Mann darüber beklagte, daß ihn seine Arthritis dazu gezwungen habe, die Gartenarbeit aufzugeben, dauerte es eine Weile, bis Yapp realisierte, daß er von seinem eigenen Garten und nicht dem eines anderen sprach.
    »Sie glauben doch nicht, daß ich im Garten von irgend so einem Scheißkerl herumwühle, oder? Ich bin doch nicht blöd.« Mit einem Wort, Buscott war nicht nur eine blühende kleine Stadt, sondern auch eine, in der anscheinend lauter fröhliche Menschen lebten. Und als solche waren sie jenseits von Yapps Erfahrungshorizont.
    Mit voranschreitender Zeit und zunehmender Enttäuschung schwankten Yapps Gedanken zwischen dem grausigen Verdacht, daß Lord Petrefact ihn mit der Absicht hierhergeschickt hatte, ihm ein funktionierendes Modell wohltätigen Kapitalismus vor Augen zu fuhren, und der Sehnsucht nach Mrs. Coppetts Wärme und eigenartiger sexueller Anziehungskraft. Er hätte nur schwer sagen können, was schlimmer war – von diesem abscheulichen alten Schwein hintergangen oder von dem Körper einer schwachsinnigen Frau angezogen zu werden, die bereits verheiratet war, noch dazu mit einer Person restringierter Größe. Am schlimmsten war, daß seine Gefühle für sie keine Zweifel mehr zuließen. Sie verkörperte auf erschreckende Weise all das, wofür ihm seine einzigartige Erziehung Verachtung und Mitleid eingeimpft hatte. Und genau das war das Problem. Er konnte Rosie Coppett für ihren Mangel an Verstand und Intellekt schwerlich verachten, da sie bildungsmäßig doch so eindeutig unterprivilegiert war. Andererseits führte ihre herzliche Einfalt unweigerlich zu einer Verdoppelung oder sogar Verdreifachung seines Mitgefühls und ließ Rosie, nicht zuletzt wegen ihrer attraktiven Beine, ihrer üppigen Brüste und den (wenn nicht von einem verstümmelten Korsett verhüllten) wahrscheinlich ausufernden Hinterbacken, in seinen Augen zu einer Frau werden, wie er sie sich in seinen wildesten Phantasien und edelsten Träumen vorstellte. Um sich von dem

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