Feine Familie
besonders edlen Traum einer Verpflanzung der Coppetts aus der Rabbitry Road in die Universität Kloone abzulenken, wo er Willy einen bequemen Job beschaffen wollte, ging er wieder zur Mühle zurück. Immerhin wurde dort gestreikt, und Streiks setzten echte Mißverständnisse voraus. Ja, er würde seine Nachforschungen ganz auf diesen Punkt konzentrieren.
Doch als er hinkam, waren die Streikposten verschwunden, und die Arbeiter strömten aus dem Fabriktor. Yapp sprach eine Frau mittleren Alters an.
»Streik? Was für ein Streik? Keine Spur von einem Streikkann ich mir auch nicht vorstellen. Dazu ist die Bezahlung zu gut«, sagte sie und ließ den völlig desillusionierten und verblüfften Yapp stehen. Er machte kehrt und ging die Anhöhe hinauf in Richtung Rabbitry Road.
Er verspürte physischen und emotionalen Hunger, und dort in der Küche würde Rosie am Herd stehen und das Abendessen bereiten.
Willy verspürte ganz andere Bedürfnisse. Er war total erschöpft. Er konnte sich nicht erinnern, je in seinem kleinen Leben an einem Tag so weit gelaufen zu sein. Im Schlachthof brauchte er so gut wie gar nicht zu laufen. Das tote Viehzeug kam zu ihm. Jedenfalls hatte er nicht die Absicht, sich den Hügel hinaufzuschleppen und dann auf ein Bier wieder zum Pferdekutscher hinunterzugehen. Er wollte dort zu Abend essen und dann lieber früh nach Hause gehen, um nachzusehen, was der langbeinige Professor im Schilde führte. Er betrat das Pub durch den Hintereingang und löffelte wenig später so viel Gulasch in sich hinein, wie er schaffte, bevor die Kneipe öffnete.
Kapitel 14
Als die Dämmerung über Buscott hereinbrach, wäre es selbst dem schärfsten Beobachter unmöglich gewesen, in der kleinen Stadt auch nur ein einziges Anzeichen für die unter der Oberfläche tatsächlich brodelnden Emotionen zu entdecken. Im New House köpfte Emmelia ihre Rosen sehr viel gröber als sonst. In der Küche von Haus Nummer 9 in der Rabbitry Road verputzte Waiden Yapp mehr heiße Rosinenbrötchen, als er eigentlich wollte, und beäugte Mrs. Coppett mit derart verwirrender Leidenschaft, daß sich schwer feststellen ließ, ob er nur süchtig nach heißen, gebutterten Rosinenbrötchen war oder sich wahnsinnig in eine ganz und gar unpassende Frau verliebt hatte. Was Rosie betraf, so kreisten ihre schlichten Gedanken um die Frage, ob sie ihn bitten sollte, mit ihr eine Spritztour in dem alten Vauxhall zu machen. Sie war erst dreimal in einem Auto gefahren, einmal, als Willy von diesem Jagdhund gebissen worden war und man sie eilig zu ihm ins Krankenhaus gebracht hatte, und zweimal mit Sozialarbeitern, die sie in die Stadt mitnahmen. Und da sie heute mehrere Stunden mit der Lektüre eines Schicksalsromans zugebracht hatte, in dem an ein paar besonders unheimlichen Stellen ein Auto eine Rolle spielte, ließ sie der Gedanke an eine Spazierfahrt nicht mehr los.
Doch der deutlichste Hinweis auf die brodelnden Emotionen wäre über und unter dem Tresen des Pferdekutschers zu finden gewesen, wo Frederick Willy über Professor Yapps Gewohnheiten ausfragte. Und während er versuchte, Willy die Sache dadurch zu erleichtern, daß er sein Glas nachfüllte, sobald es leer war, sah sich Willy, der eigentlich nur sagen konnte, daß Yapp für seinen Geschmack verdammt viel zu schnell gelaufen sei, gezwungen, seinen Bericht etwas auszuschmücken. Mit jeder Flasche wurden seine Übertreibungen wüster.
»Geküßt hat er sie, in meiner eigenen Scheißküche«, sagte er nach der fünften Flasche Bier. »Meine Rosie hat er geküßt.« Frederick sah ihn ungläubig an.
»Na hör mal«, meinte Mr. Parmiter, der Fredericks Skepsis offenbar teilte, »wer würde deine Rosie denn schon küssen wollen?«
»Ich«, entgegnete Willy, »ich bin ihr rechtmäßiger Ehemann.«
»Warum tust du’s dann nicht?«
Über die Kante des Tresens warf Willy ihm einen wütenden Blick zu. »Weil sie verdammt zu groß ist und ich nicht drankomme.«
»Warum stellst du dich dann nicht auf einen Stuhl oder läßt sie sich hinsetzen?«
»Würde auch nichts helfen«, sagte Willy bekümmert. »Es ist einfach unmöglich, es ihr zu besorgen und sie gleichzeitig zu küssen. Entweder das eine oder das andere.«
»Sie wollen doch damit nicht andeuten, daß Professor Yapp mit Ihrer Frau geschlafen hat?« fragte Frederick hoffnungsvoll. Willy, dem dieser Unterton nicht entging, antwortete entsprechend. Sein Glas war leer. »Und ob. Ich hab’ sie erwischt, die beiden. Sie hatte nur das
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