Feine Milde
Toppe merkte, wie sich der dumpfe Knoten in seinem Hirn langsam löste. Als sie aus dem Wasser kamen, trockneten sie sich nicht ab, die Sonne wärmte immer noch kräftig. Sie suchten einen Flecken Gras ohne Disteln und Kuhfladen. Toppe legte seinen Kopf auf ihren Bauch, überließ sich ihren weichen Händen und döste schließlich ein.
Kinderjauchzen weckte ihn auf. Die Zunge klebte ihm am Gaumen; er fröstelte. Im Kolk tummelte sich ein junges Paar mit einem Kleinkind. Er grunzte mißmutig.
»Was ist?« fragte Astrid. »Seid ihr mit den Jungs nie zum Schwimmen gegangen, als sie noch klein waren?«
»Sicher, aber doch nicht mitten in der Nacht, wenn Leute wie ich zum Beispiel ihre Ruhe brauchen.«
»Ach«, sagte sie. »Bei dieser Hitze kann so ein Baby bestimmt auch nicht schlafen. Guck mal, ist das nicht süß?«
Er kannte den Tonfall, sah ihr ins Gesicht.
Sie lachte. »Ja, ich weiß, du fühlst dich zu alt.« Es sollte neckisch klingen, aber da war auch Trauer in ihrer Stimme, in ihren Augen.
Er strich ihr leicht über den Bauch. »Ich habe ein bißchen nachgedacht im Urlaub«, sagte er.
Sie hielt seine Hand fest. »Wirklich?«
»Hee!« Er richtete sich auf und küßte sie. »Nur nachgedacht, sonst nichts.«
Gabi kam und brachte laute Fröhlichkeit und Urlaubslaune.
»Kann das sein, daß du immer mehr vom Fleisch fällst?« fragte Toppe, nur halb im Scherz.
Sie hatte sich seit der Trennung sehr verändert, war jetzt dünn, hatte raspelkurzes Haar, schminkte sich, trug Kleider, die auffielen.
»Nun ja, ich habe in den letzten vierzehn Tagen nicht so viel Schlaf gekriegt«, lachte sie frech. »Aber wer braucht schon Schlaf?« Sie war herrlich verliebt.
Astrid kicherte. »Lernen wir den Glücklichen bald mal kennen?«
»Mal sehen, ob ich mich traue. Er ist jünger als ich.«
Dann schaute sie zwischen Toppe und Astrid hin und her.
»Wenn ich’s genau bedenke, ist es eigentlich nur gerecht.«
Sie lachten alle drei, aber Toppe fand es eigentlich nicht besonders komisch.
11
Man mußte schon über einen guten Orientierungssinn verfügen, wenn man in dem Gänge- und Treppengewirr der Kreisverwaltung die Zimmer des Jugendamtes finden wollte – van Appeldorn brauchte gut und gern fünf Minuten.
Frau Derksen war genauso freundlich wie am Telefon, ein bißchen amtlich vielleicht, aber nett. »Ich habe eigentlich schon damit gerechnet, daß Sie unsere Warteliste haben wollen«, meinte sie, während sie ihnen Kaffee eingoß.
»Es liegt zwar in meinem Ermessen, ob ich Ihnen Einblick in unsere Unterlagen gebe, aber mir wäre es doch lieber, wenn mein Chef das absegnen würde.«
Sie telefonierte leise mit dem Rücken zu ihm. »Es geht in Ordnung«, sagte sie, »aber er will doch noch kurz selbst mit Ihnen sprechen.« Dann plauderte sie über die unglaubliche Hitze, das Unwetter, die Schäden an den Autos durch die Hagelkörner, und wieviel die Versicherung wohl zahlen würde. Sie bedauerten sich gegenseitig, bei diesen Temperaturen arbeiten zu müssen, aber zum Sonnenbaden war es ja doch auch viel zu heiß.
Der Leiter des Jugendamtes kam aus nackter Neugier. Er ging davon aus, daß die Zeitung Wichtiges verschwiegen hatte, und bohrte nach Einzelheiten. Selbst wenn van Appeldorn gewollt hätte, was hätte er ihm schon groß erzählen können?
Er folgte irgendwelchen Ausgangsschildern und landete schließlich an der Tür, die in den Moritzpark führte – selbstverständlich parkte sein Auto an der anderen Seite des Gebäudes. Es war noch früh, und eigentlich konnte er sich ruhig eine Pause gönnen. Seine Wohnung lag gleich um die Ecke, aber er hatte wenig Lust auf Kinderlärm, und so schlenderte er den Prinzenhof hinunter – nicht die schlechteste Wohnlage. Besonders die Häuser an der rechten Seite hatten es ihm angetan. Sie lagen am Hang, hatten schöne Gärten, von denen aus man weit über die Ebene des Cleverham blicken konnte. Zu einem Eigenheim würde es wohl auch in den nächsten Jahren noch nicht langen. Van Appeldorn hatte keine Lust, nur wegen so eines Steinklotzes auf alles mögliche zu verzichten. Wie Toppe zum Beispiel, bei dem das besonders absurd war, weil er selbst jetzt gar nicht mehr drin wohnte. Nein, seine Wohnung am Blauen Himmel war ganz in Ordnung, mitten in der Stadt und trotzdem ruhig, gleich am Fuß der Schwanenburg, und statt im eigenen Garten zu ackern, seinen eigenen Rasen zu mähen, hatte er das Stück des Burgberges gegenüber der Haustür mit Steingartengewächs und
Weitere Kostenlose Bücher