Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 1
Worte.
»Nun, dann lasst den Wettbewerb beginnen.«
Der älteste Meister des Hofs, der die Schule schon seit beinahe dreißig Jahren leitete, ging langsam in die Mitte des Bereichs, der für den Kampf abgesteckt war. Er winkte die beiden Männer heran, nahm Tal am Handgelenk und zog ihn
leicht nach links, dann lenkte er Campaneal nach rechts.
»Wendet Euch mir zu«, kommandierte er mit immer noch
beeindruckender Stimmkraft. »Wahrt beim Kampf Eure eigene Ehre und die dieses Hofs«, verlangte er.
Tal warf einen Blick zur Galerie des Saals und sah, dass
dort Männer mit Bögen und Armbrüsten bereitstanden.
Der Meister war freundlich genug, das nicht zu erwähnen.
»Auf meinen Befehl beginnt mit dem Kampf, und mögen die
Götter Euch Kraft und Würde verleihen.«
Tal wandte sich Campaneal zu, der sich vor ihm verbeugte.
Tal gelang es nur, leicht den Kopf zu neigen, denn er wollte
diesem Mörder keine Höflichkeit erweisen.
Plötzlich kam der Befehl, und Campaneal griff sofort an,
das Breitschwert hoch erhoben, und dann zuckte es plötzlich
auf Tals Seite zu. Tal bog das Handgelenk und brachte seine
Klinge mit der Spitze nach links unten, um den Schlag abzuwehren, dann drehte er sich nach rechts. Es war eine unerwartete Bewegung, und einen Sekundenbruchteil war sein Rücken ohne jede Verteidigung, aber bis Campaneal das begriffen und sich gedreht hatte, hatte Tal schon selbst zugeschlagen und dabei Campaneal eigentlich an der linken Schulter
treffen wollen.
Der erfahrene Schwertkämpfer duckte sich jedoch ein
wenig, und die Klinge verfehlte seine Schulter. Tal musste
einen Schritt rückwärts machen, damit die Wucht seines
Schlags ihn nicht wieder so weit drehte, dass sein Rücken
schutzlos war.
Nun, da die beiden Gegner die ersten Schläge ausgetauscht
hatten, umkreisten sie einander, beide nach links, weg von der
Klinge des anderen. Tal maß seine Gegner: Campaneal war
beinahe so schnell wie der Attentäter aus Kesh, und er machte
seine etwas langsameren Angriffe dadurch wett, dass er mit
dem Langschwert erheblich geübter war. Er hatte eine vollkommen ausbalancierte Waffe und wusste, wie man eine
komplizierte Kombination von Schlägen, Finten und Nachstößen ausführte.
Jeder Angriff, den Tal vornahm, wurde abgewehrt und erwidert, und mehrmals waren es nur Tals beinahe übernatürlich
schnellen Reaktionen, die ihn davor bewahrten zu verlieren.
Innerhalb von Minuten waren beide Männer schweißgebadet
und rangen nach Atem.
Der Jubel, das Anfeuern der Kämpfer und die lauten
Kommentare wurden leiser, und als der Kampf nun weiterging, verklangen sie vollkommen, bis der gesamte Hof
schweigend verharrte und jede Bewegung der beiden Kämpfer
gebannt beobachtete. Die Zuschauer hielten den Atem an und
versuchten sogar, nicht mehr zu blinzeln, damit sie nicht das
plötzliche Ende des Kampfes verpassten, das zweifellos bevorstand.
Tal spürte, wie seine Anspannung wuchs, denn Campaneal
war der beste Schwertkämpfer, den er je erlebt hatte. Er war
schlau genug, nicht in ein Muster von Bewegungen zu verfallen, das Tal identifizieren konnte, und schon nach kurzer Zeit
wurde ihm klar, dass seine Chance zu siegen immer geringer
wurde. Er wollte unbedingt den perfekten Angriff führen,
einen, der ein kleines bisschen »fehlerhaft« war und einen
tödlichen Stoß erlaubte, der wie ein Unfall aussah. Aber
nachdem Minuten vergangen waren und sich erste Müdigkeit
in seine Arme und Beine schlich, erkannte Tal, dass er wohl
kaum die Gelegenheit erhalten würde, diesen Mann zu töten –
er würde diesen Kampf vielleicht nicht einmal gewinnen können.
Dann entdeckte er etwas. Er beobachtete, wie der Leutnant
sein Schwert hochschnellen ließ, als er Tal seitlich angriff,
dann die Klinge umdrehte, um Tals rechte Seite anzugreifen,
wenn Tals Klinge in die andere Richtung zuckte. Dieses Manöver hatte er bei seinem Gegner schon einmal gesehen.
Die Minuten schleppten sich dahin, und lange Zeit umkreisten die beiden Kämpfer einander nur und versuchten, zu
Atem zu kommen, während sie nach Schwachstellen Ausschau hielten. Tal beschloss, das Risiko einzugehen, bevor er
zu müde war, um das schwierige Manöver auszuführen.
Er setzte zu einem recht ungeschickten Schlag von oben an
und drehte das Handgelenk so, dass das Schwert in einem
Abwärtsbogen auf Campaneals rechte Schulter zielte. Dann
drehte er das Handgelenk langsam, als versuche er, Campaneal unter dem Ellbogen zu erwischen, denn die Rippen des
Weitere Kostenlose Bücher