Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 1
kam ihm nicht ungewöhnlich vor; als Außenseiter hätte er
auch nicht erwartet, in ein Orosini-Haus eingelassen zu werden, aber diese Leute hier waren keine Orosini. Nun ging er
davon aus, dass es eben das Los einiger Diener war, in der
Scheune zu schlafen. Es gab so vieles an diesen Leuten, was
er nicht verstand.
Häufig war er müde. Er begriff nicht warum; er war ein
junger Mann und daran gewöhnt, energiegeladen und fröhlich
zu sein, aber seit er hier war, hatte er mit finsterer Stimmung
und beinahe überwältigender Traurigkeit zu kämpfen. Wenn
ihm Robert oder Pasko etwas zu tun gab oder er in Gesellschaft von Caleb oder Lela war, lenkte ihn das manchmal von
den finsteren Gedanken ab, in die er oft verfiel, wenn er allein
war. Er sehnte sich nach dem weisen Rat seines Großvaters,
was all diese neuen Erfahrungen anging, aber schon der Gedanke an seine Familie stieß ihn noch tiefer in diese morbide
Stimmung, die ihm das Gefühl vermittelte, an einem dunklen
Ort gefangen zu sein, von dem es kein Entkommen gab.
Die Orosini waren untereinander sehr offen und konnten
problemlos über ihre Gedanken und Gefühle sprechen, selbst
gegenüber jemandem, der kein naher Verwandter war, aber
sie wirkten auf Außenseiter unerschütterlich und sogar
schweigsam. Talon, der selbst für einen von seinem Volk gesellig gewesen war, kam sich in seiner neuen Umgebung
manchmal beinahe stumm vor. Tief in seinem Inneren sehnte
er sich danach, seinen Gedanken und Gefühlen so frei Ausdruck verleihen zu können, wie er es aus seiner Kindheit gewöhnt war, aber obwohl diese Kindheit nur Wochen zurücklag, fühlte es sich nun an, als wäre er Jahrzehnte davon entfernt.
Pasko und Lela waren nicht gerade verschlossen, wenn er
eine Frage stellte, aber Lela antwortete für gewöhnlich mit
einer Ausflucht oder einer Information, die nur in die Irre
führte, und Pasko tat viele Fragen einfach als unwesentlich ab.
Talons Frustration darüber wuchs zusehends und trug noch
mehr zu seiner finsteren Stimmung bei.
Die einzige wirkliche Abwechslung von dieser bedrückenden Situation bildete die Jagd. Caleb war sogar noch schweigsamer als Talon, und manchmal wechselten sie an einem
Jagdtag nicht mehr als ein Dutzend Worte miteinander.
Als er und Lela den Stallhof erreichten, sagte das Mädchen: »Oh, wir haben Gäste.«
Eine Kutsche, kunstvoll mit Goldverzierungen auf schwarz
lackiertem Holz versehen, stand neben der Scheune. Gibbs
und Lars waren damit beschäftigt, das schönste Paar schwarzer Wallache auszuschirren, das Talon je gesehen hatte. Pferde waren für die Bergstämme der Orosini nicht so wichtig wie
für die der benachbarten Kulturen, aber er wusste ein schönes
Tier dennoch zu schätzen. Der Kutscher beaufsichtigte die
beiden Diener und sorgte dafür, dass das Gespann seines
Herrn mit dem gebührenden Respekt behandelt wurde.
Lela sagte: »Sieht so aus, als wäre der Graf DeBarges mal
wieder zu Besuch.«
Talon fragte sich, wer das wohl sein mochte, aber er
schwieg.
»Stell den Korb auf die Hintertreppe«, wies Lela ihn an.
Das tat Talon, und das Mädchen lächelte, als sie durch die
Hintertür in der Küche verschwand.
Er wartete einen Augenblick, denn er wusste nicht genau,
was er tun sollte, dann drehte er sich um und ging wieder zur
Scheune. Drinnen fand er Pasko, der mit einer der ununterbrochenen Reparaturen beschäftigt war, die der alte Wagen
offenbar brauchte, und dabei leise vor sich hin summte. Pasko
blickte kurz auf, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der Arbeit zu. Nach einem Moment des Schweigens sagte
er: »Reich mir mal die Ahle dort, Junge.«
Talon gab ihm das Werkzeug und sah zu, wie Pasko an
dem neuen Riemen für das Geschirr arbeitete. »Wenn man in
einer großen Stadt wohnt«, erklärte der ältere Mann, »kann
man dort jede Menge Handwerker für solche Arbeiten finden,
aber wenn man meilenweit von jeder Siedlung entfernt unterwegs ist und ein Riemen reißt, muss man selbst wissen, wie
man so etwas macht.« Er hielt einen Augenblick inne, dann
gab er Talon die Ahle zurück. »Sehen wir mal, wie du ein
paar Löcher stichst.«
Talon hatte Pasko schon ein paar Tage an diesem neuen Geschirr arbeiten sehen und daher eine gewisse Ahnung davon,
was zu tun war. Er begann mit dem Ende das Riemens, wo die
Schnallen angebracht werden sollten. Wann immer er unsicher
war, warf er Pasko einen Blick zu, der entweder zustimmend
nickte oder den Kopf schüttelte. Schließlich war der
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