Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 1

Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 1

Titel: Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Silberfalke
Vom Netzwerk:
zu halten,
und er versuchte nur, das schlichte Wesen des Baums festzuhalten, die Linien und Schatten, die er mit seinem Jägerauge
gesehen hatte. Die Einzelheiten waren nicht so wichtig, erkannte er – es war eher das allgemeine Gefühl des Gegenstands, das zählte.
    Gerade als er fertig war, kehrte Nakor zurück und spähte
ihm über die Schulter. »Bist du fertig?«
»Ja«, sagte Talon.
Nakor sah sich die beiden Bäume an. »Du hat diesen hier
als Ersten gezeichnet?«
Er zeigte auf das Bild rechts.
»Ja.«
»Der hier ist besser«, erklärte Nakor und zeigte auf die
Zeichnung links.
»Ja.«
»Warum?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe einfach damit aufgehört, alles zeichnen zu wollen.«
»Gar nicht übel«, sagte Nakor und reichte ihm die Zeichnung zurück. »Du hast ein gutes Auge. Jetzt musst du lernen
zu spüren, was wichtig und was unwesentlich ist. Morgen
wirst du damit anfangen, malen zu lernen.«
»Malen?«
»Ja«, antwortete Nakor. Er wandte sich wieder der Siedlung zu und sagte: »Komm mit.«
Talon ging neben seinem Lehrer her und fragte sich, was
Nakor mit »malen lernen« meinte.
    Maceus beobachtete Talon stirnrunzelnd. Der Lehrer war wie
durch Magie vor Nakors Quartier aufgetaucht, am Tag, nachdem Talon den Baum gezeichnet hatte. Er kam aus Queg,
hatte eine Stupsnase, einen sehr gepflegten kleinen Schnurrbart und schnalzte immer mit der Zunge, wenn er Talons Arbeiten betrachtete. Er hatte Talon nun seit einem Monat vom
Morgengrauen bis zur Abenddämmerung Malunterricht erteilt.
    Talon begriff schnell. Maceus behauptete, dass er vollkommen unbegabt sei und keinerlei wirkliches Talent hätte,
aber er musste widerstrebend zugeben, dass sein Schüler über
ein gutes Auge und ein paar grundlegende Fähigkeiten verfügte.
    Nakor kam hin und wieder vorbei und sah zu, wie Talon
sich anstrengte zu begreifen, um was es bei Licht, Form,
Struktur und Farbe ging. Talon lernte auch, seine eigenen
Farben und Öle zu mischen und Holz und Leinwand zum
Bemalen vorzubereiten.
    Talon setzte alles ein, was er in anderen Fächern gelernt
hatte, denn sosehr er sich auch anstrengte, diese Fähigkeiten
ebenfalls zu meistern, war die Malerei für ihn doch eine Quelle endloser Frustration. Nichts sah so aus, wie er es sich zu
Anfang vorgestellt hatte. Maceus hatte ihn mit einfachen Dingen anfangen lassen – ein paar Stücke Obst auf einem Tisch,
ein einzelner Lederhandschuh, ein Schwert und ein Schild –,
aber selbst diese Gegenstände schienen entschlossen, sich
seinen Anstrengungen zu entziehen.
    Talon lernte dazu und versuchte es immer wieder. Er versagte häufiger, als dass er Erfolg hatte, aber nach und nach
begann er zu begreifen.
    Eines Morgens stand er auf, und nachdem er seinen Pflichten in der Küche nachgegangen war – das Malen bewirkte,
dass er sich nach den relativ schlichten Freuden des Kochens
sehnte – stand er vor seinem letzten Versuch, einem Gemälde
eines Porzellankrugs und einer Schale. Die Gegenstände waren weiß und hatten eine blaue Leiste mit einem Flechtmuster
rings um den Rand der Schale und die Mitte des Kruges, und
das verlangte eine subtile Herangehensweise.
    Maceus erschien, als hätte er gespürt, dass Talon fertig
war, und der junge Mann trat beiseite. Maceus spähte an seiner Nase entlang auf das Gemälde herab und schwieg einen
Moment. Dann erklärte er: »Akzeptabel.«
    »Es gefällt Euch?«, fragte Talon.
»Ich habe nicht gesagt, dass es mir gefällt, ich sagte, es sei
akzeptabel. Du hast die richtigen Entscheidungen getroffen,
junger Talon. Du hast verstanden, dass es hier eher um eine
grafische Darstellung als um eine exakte Wiedergabe des gemalten Flechtmusters geht. Und du hast das Weiß richtig wiedergegeben.«
Talon war selbst über solch bescheidenes Lob froh. »Und
nun?«
»Nun fängst du damit an, Porträts zu malen.«
»Porträts?«
»Bilder von Leuten.«
»Oh.«
»Und jetzt geh und tu etwas vollkommen anderes. Mach
einen Spaziergang und benutze dabei deine Augen ausschließlich, um dir den Horizont anzusehen. Du hast sie zu lange
angestrengt, indem du sie auf Gegenstände konzentriert hast,
die dicht vor dir standen.«
Talon nickte und ging. Alle anderen waren bei der Arbeit,
und er hatte keine Lust auf einen einsamen Ausritt oder darauf, allein schwimmen zu gehen. Also schlenderte er über die
Wiese nördlich der Siedlung und traf schließlich ein paar
Schüler, die in dem kleinen Obstgarten arbeiteten, der an den
Wald grenzte.
Eine vertraute

Weitere Kostenlose Bücher