Feist, Raymond - Die Erben von Midkemia 3
sein, die den nächsten Tag weiterzogen, und er würde sich ausruhen können. Er verbrachte seine Wache damit, erneut über sein Leben nachzudenken.
Finstere Erinnerungen überfluteten ihn, als er sich Leso Varens Ankunft wieder ins Gedächtnis rief. Der Magier war eines Tages bei einer offenen Audienz erschienen, ein Bittsteller, der einen Platz suchte, an dem er sich eine Weile ausruhen konnte, ein Lieferant harmloser Magie. Aber er war rasch zu einem festen Bestandteil des herzoglichen Haushalts geworden, und irgendwann hatte Kaspars Sicht der Dinge begonnen, sich zu verändern.
War sein Ehrgeiz zuerst da gewesen, oder waren es die honigsüßen Worte des Magiers? Kaspar erkannte, dass er Dinge getan hatte, die ihn nun anwiderten, und je größer sein Abstand zu diesen Ereignissen wurde, desto widerwärtiger kamen sie ihm vor. Er erinnerte sich an seinen letzten Tag in der Zitadelle in Opardum. Er war überzeugt gewesen, dass man ihn hinrichten würde, also hatte er bis zum Tod kämpfen wollen. Er hatte keine Ahnung, wer hinter diesem Angriff durch Kesh und Roldem stand, bis Talwin Hawkins in den letzten Raum eingedrungen war, den Kaspar und jene, die noch treu zu ihm standen, verteidigten – und dann hatte er plötzlich alles begriffen.
Dass Quentin Havrevulen sich mit Hawkins zusammengetan hatte, war eine einer schwarzen Komödie würdige Ironie. Als Talwin erklärte, der letzte Orosini zu sein, verstand Kaspar endlich seine Be-weggründe, und er hätte ihm beinahe zu seinem tückischen Vorgehen gratuliert. Es war Talwin so erfolgreich gelungen, sich als Junker aus dem Königreich auszugeben, dass er selbst Leso Varens Magie getäuscht hatte. Die Niederlage war rasch und überwältigend gewesen.
Was Kaspar jedoch am meisten überraschte, war der Entschluss, ihn am Leben zu lassen – ihn zu verbannen, damit er über seine Missetaten nachdenken konnte. Und er verfluchte Hawkins dafür, denn es hatte genau die geplanten Auswirkungen. Zum ersten Mal in seinem Leben verspürte Kaspar Reue.
Er fragte sich, wie viele Frauen wie Jojanna und wie viele kleine Jungen wie Jörgen wegen seiner ehrgeizigen Pläne gestorben waren. Bevor man ihn in dieses Land verbannt hatte, hatte er sie nicht als Menschen betrachtet, sondern als Hindernisse für seine Eroberungspläne. Seine großartigen Träume, auf dem Thron von Roldem zu sitzen, waren nichts als Eitelkeit gewesen. Mörderische Eitelkeit, die ihm nichts eingebracht hatte. Denn was hätte als Nächstes geschehen sollen? Die Eroberung der Welt? Hatte er irgendwie Kesh unter seinen Einfluss bringen oder die östlichen Königreiche zu Provinzen machen wollen? Hatte er übers Meer segeln wollen, um Ordnung in dieses chaotische Land zu bringen? Und dann was? Dieser legendäre Kontinent im Norden, an dessen Namen er sich nicht einmal erinnerte? Ein Einmarsch in die Welt der Tsurani? Wie viel war genug?
Und wenn das alles getan war, was würde es ihm nützen? Er war ein Einzelgänger mit nur einem Menschen auf der Welt – seiner Schwester –, für den er so etwas wie Liebe empfand, und es gab niemanden, mit dem er seinen Traum teilen konnte.
Kaspar setzte sich und betrachtete die beiden schlafenden Kaufleute. Flynn war verheiratet. Kenner hatte ein Mädchen gehabt und hoffte, dass es immer noch auf ihn wartete, aber beide hatten Träume, die sich erfüllen konnten, keine unmöglichen Fantasien von Macht und Herrschaft. Herrschaft war eine Illusion, hatte der alte Herzog gesagt. Nun begann Kaspar zu verstehen, wie sein Vater das gemeint hatte. Er beneidete diese beiden Männer, die nicht einmal seine Freunde waren, denen er aber zumindest vertraute. Ihnen war keinerlei Ehrgeiz oder Neid geblieben. Sie versuchten einfach nur, sich von einem Fluch zu befreien und zu ihrem normalen Leben zurückzukehren.
Kaspar fragte sich, wie sein normales Leben aussehen würde, wenn er erst frei von diesem Geis war.
Würde er sich je damit zufrieden geben, eine Frau zu finden, sich niederzulassen und Kinder zu zeugen?
Er hatte nie wirklich Kinder haben wollen, aber die Zeit mit Jörgen hatte ihm gezeigt, wie es sein konnte, einen Sohn zu haben. Kinder waren für ihn stets das Produkt einer Heirat aus Staatsgründen gewesen, winzige Garantien guten Verhaltens der Nachbarstaaten. Früher hätte er den Gedanken, diese Kinder zu lieben, bestenfalls für wunderlich gehalten.
Er weckte Kenner, der nickte und den Platz mit ihm tauschte, ohne ein Wort zu sagen, damit sie Flynn nicht störten.
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