Feist, Raymond - Die Erben von Midkemia 3
zu nähern.
»Halte ein, Kaspar von Olasko. Ich stelle keine Gefahr für dich dar.«
Flynn schien erneut der Hysterie nahe. »Wer bist du?«
Sie schien über die Frage ein wenig amüsiert.
»Wer ich bin?« Sie schwieg einen Moment und sagte dann: »Ich bin… Nennt mich einfach Hildy«
Kaspar ging misstrauisch auf sie zu; er hatte das Schwert noch nicht vollkommen gesenkt. »Verzeih mein Zögern, aber du musst verstehen, dass mein Freund und ich es in der letzten Zeit mit mehr seltsamen und unheilvollen Ereignissen zu tun hatten, als den meisten in ihrem ganzen Leben zuteil werden. Da wir hunderte von Meilen von dem entfernt sind, was in diesen Breiten als Zivilisation gilt, und da es offenbar nur einen Weg in diese Halle gibt, ist es beunruhigend, jemanden hier zu finden, ganz gleich, wie harmlos du dich gibst. Also stör dich bitte nicht daran, wenn ich derzeit alles andere als vertrauensselig bin.«
»Ich verstehe.«
»Und woher kennst du mich?«
»Ich weiß viele Dinge, Kaspar, Sohn des Konstantine und der Merianna, Erbherzog von Olasko, Bruder der Natalia. Ich könnte über dein Leben vom Augenblick deiner Geburt bis zu dieser Minute berichten, aber dazu haben wir nicht die Zeit.«
»Du bist eine Hexe!«, rief Flynn und machte ein Zeichen zur Abwehr von Unheil.
»Und du bist ein Dummkopf, Jerome Flynn, aber nach allem, was du durchgemacht hast, ist es ein Wunder, dass du überhaupt noch bei Verstand bist.«
Sie ignorierte Kaspars Schwert und ging an ihm vorbei zu Flynn. Sie berührte ihn und sagte: »Ich verspreche dir, dein Leiden wird bald ein Ende finden.«
Flynn sah aus wie neugeboren. Einen Augenblick zuvor hatte er noch am Rand des Zusammenbruchs gestanden, aber nun wirkte er erfrischt, erfüllt von Freude und Entschlossenheit. Unfähig, sich ein Lächeln zu verkneifen, fragte er: »Wie hast du das gemacht?«
»Ein Bekannter hat einmal von >Tricks< gesprochen. Ich beherrsche ein paar davon.« Sie wandte sich Kaspar zu. »Und wer ich bin – ich glaube, das könntet ihr nicht verstehen. Sagen wir, ich bin nur das Echo des Wesens, das ich in der Vergangenheit war, aber im Gegensatz zur allgemeinen Sichtweise bin ich noch nicht vollkommen tot. Ich bin hier, um dir zu helfen, Kaspar, dir und Jerome.«
Kaspar wandte sich seinem Begleiter zu. »Ich wusste nicht mal, dass du Jerome heißt. Ich habe dich all diese Monate Flynn genannt – wieso hast du das nie gesagt?«
»Du hast nie gefragt«, entgegnete Flynn. »Und du hast mir auch nie erzählt, dass du der Herzog von Olasko bist!« Er lachte. »Ich weiß nicht, warum, aber ich fühle mich plötzlich wunderbar.«
»Magie«, sagte Kaspar. Er wies mit dem Kinn auf Hildy.
»Nur ein wenig. Ich habe leider nicht viel übrig.«
»Woher wusstest du, dass wir hier waren?«, fragte Kaspar.
»Oh, ich habe euch schon seit einiger Zeit beobachtet«, antwortete Hildy, die dunklen Augen auf Kaspar gerichtet. »Es hat eigentlich ganz zufällig angefangen. Du bist mir aufgefallen, als du einen alten Feind von mir bei dir aufgenommen hast. Er lebte in deiner Zitadelle und hat ziemlichen Ärger gemacht.«
»Leso Varen.«
Sie nickte. »Das ist einer von vielen Namen, die er im Lauf der Jahre benutzt hat.« Sie drehte sich um und sah Flynn an. »Wenn du uns bitte entschuldigen würdest«, sagte sie.
Flynn setzte sich auf den Boden, dann sackte er nach vorn und schlief ein.
»Ich habe nicht viel Zeit. Selbst diese… Erscheinung aufrechtzuerhalten ist über längere Zeit schwierig. Ich weiß, dass du Fragen hast, aber zum größten Teil werden sie unbeantwortet bleiben. Hier ist, was du wissen musst, Kaspar. Die Umstände haben dich an einen Kreuzweg im Schicksal von Nationen und Welten geführt, und selbst die banalste Entscheidung, die du triffst, könnte unvorstellbare Folgen haben. Du warst nach allen Maßstäben ein kaltherziger, geiziger Mistkerl, Kaspar – ein mörderisches, ehrgeiziges, gnadenloses Ungeheuer.«
Kaspar schwieg. In seinem ganzen Leben hatte nie jemand so mit ihm gesprochen, und dennoch war er gezwungen zuzugeben, dass jedes Wort der Wahrheit entsprach.
»Aber du hast eine Chance erhalten, wie sie nur wenigen zu ihren Lebzeiten gewährt wird, eine Chance, dich zu verändern und etwas Selbstloses und Heroisches zu tun, und zwar nicht, weil die Menschen davon erfahren oder sogar dankbar dafür sein werden, sondern weil es etwas in der Welt wieder richtig stellt, nachdem du so lange dein Bestes getan hast, es falsch zu machen. Es könnte
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