Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 4
wurde. Das Bett maß mindestens zwölf mal zwölf Fuß, und es stand auf einem Podest inmitten des Raums.
Der Raum selbst wirkte mehr wie ein Pavillon, denn
es gab viele Vorhänge, die geschlossen werden konnten,
wenn mehr Abgeschiedenheit gewünscht wurde. Im Augenblick waren sie jedoch allesamt zurückgezogen und
boten dem Kaiser in alle Richtungen einen hinreißenden
Blick auf den Palast und die Stadt dahinter.
Diigai saß auf einem halbrunden Stuhl ein paar Fuß
vom Bett entfernt. Auf einem Tisch vor ihm befand sich
das schönste Schachspiel, das Kaspar je gesehen hatte.
Der Kaiser winkte ihn näher zu sich und sagte: »Setzt
Euch, Junge. Lass uns anfangen.«
Kaspar setzte sich und blickte sich um. Überall im
Raum gab es Frauen von verblüffender Schönheit, so
sparsam bekleidet, wie es für Frauen vom Wahren Blut
üblich war. Kaspar ließ sich nicht leicht von einem hübschen Gesicht oder einem üppigen Busen aus dem Konzept bringen, aber selbst er war beeindruckt von ihrer
Schönheit und ihrer schieren Anzahl.
Der Kaiser winkte ab und sagte: »Ich wünsche so viel
Abgeschiedenheit wie möglich, meine Lieben. Geht.«
Die Mädchen gingen unter Flüstern und Kichern, und
Diener zogen halb durchsichtige Vorhänge zu, so dass
nur ein Blick auf die Stadt weiter offen blieb.
»Mehr Privatsphäre gestattet man mir nicht, Kaspar.«
Der Kaiser ließ die förmliche Sprache, die er in der Öffentlichkeit benutzte, fallen. »Ich gebe Euch die weißen.«
Kaspar nickte und griff nach einem Bauern.
Das Schachbrett war aus Rosenholz geschnitzt und mit
großer Präzision verarbeitet. Die Felder selbst bestanden
aus Elfenbein und Ebenholz und waren mit winzigen
Goldbändern gerahmt, aber so eingesetzt, dass die Oberfläche vollkommen glatt war. Die Spielfiguren bestanden
nicht nur aus dem besten schwarzen Onyx und weißen
Chalzedon, sie waren auch kleine Kunstwerke. Kaspar
griff nach der weißen Königin und staunte über ein Gesicht von königlicher Schönheit. Die Kronen bestanden
aus Gold, und als er sich die anderen Figuren näher ansah, konnte er die winzigen Edelsteine im Zepter des
Priesters sehen und dass das Schwert des Reiters aus Platin gefertigt war.
»Macht schon, Junge«, drängte der Kaiser, und Kaspar
schob den Königsbauern vorwärts. Er lächelte. Es war
lange her, seit ihn jemand »Junge« genannt hatte.
Der Kaiser beugte sich vor und sagte: »Ich wette, Ihr
wundert Euch über all diese hübschen Mädchen.«
Kaspar lachte. »Ich muss zugeben, Majestät, dass ich
von ihrer Schönheit beinahe überwältigt war.«
Der Kaiser grinste, und Kaspar war verblüfft, wie
weiß seine Zähne vor der gealterten, matten Haut aussahen. »Wie sagen die Leute? ›Ich bin alt, aber ich bin
noch nicht tot‹?« Er lachte leise. »Sie sind nur hier, um
mich auszuspionieren. Ich glaube, sie arbeiten alle für
einen anderen Minister, General, Adligen oder für eine
der Gilden in der Stadt. Sie sind alle Geschenke, wisst
Ihr?«
»Sklavinnen?«
»Kaum. Kein Sklave darf sich der Person des Kaisers
auch nur auf hundert Schritt nähern. Und die vom Wahren Blut können niemals Sklaven sein. Wenn einer genug
Gesetze bricht, um Sklaverei zu verdienen, werfen wir
ihn stattdessen den Krokodilen vor.« Er machte einen
Zug mit einem Bauern. Dann senkte er die Stimme noch
mehr und sagte: »Einer der Vorteile hohen Rangs. Ich
hole hin und wieder eine in mein Bett, und selbst wenn
… nichts Bedeutsames geschieht, höre ich doch einiges.«
Diigai bedeutete Kaspar, sich weiter vorzubeugen, und
flüsterte: »Sie glauben, ich wäre senil.« Er lachte leise,
und Kaspar sah zum ersten Mal, seit er ein Junge gewesen war, wieder dieses Glitzern in Diigais Augen. »Und
ich lasse sie es denken.«
Kaspar schwieg und fragte sich, wieso man ihn, einen
abtrünnigen Ausländer, in den inneren Kreis des Kaisers
ließ – nein, nicht ließ, sondern zitierte. Er machte einen
Zug.
Das Spiel ging langsam weiter, bis Diigai sagte: »Kaspar, ich befürchte, dass ich nächstes Jahr um diese Zeit
nicht mehr am Leben sein werde.« Er betrachtete das
Brett und fügte hinzu: »Vielleicht nicht einmal mehr im
nächsten Monat.«
»Jemand intrigiert gegen Euch, Majestät?«
»Immer. Das ist die Art der Keshianer. Meine Söhne
sind alle jung gestorben, und nur einer hatte selbst Söhne.
Wenn ich eine halbwegs intelligente Enkelin hätte, würde
ich sie verheiraten und ihren Mann zum Kaiser machen,
genau wie es bei mir war, als
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