Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 4
gelauscht.
Man hatte ihn zuvor bereits zweimal dem Kaiser vorgestellt, zunächst als Kronprinz, als er mit seinem Vater
nach Kesh gereist war, und dann später als junger Herzog
von Olasko.
Aber diesmal war er als Bittsteller hier und suchte Zuflucht vor Vergeltung, oder zumindest lautete so die Geschichte, die Turgan Bey sich ausgedacht hatte, um Lord
Semaclar, den Ersten Kanzler und Meister der Pferde –
Letzteres war der Titel des Anführers der kaiserlichen
Kavallerie – zu überzeugen. Seine Bitte um Asyl war
auch von Lord Rawa, dem Anführer der kaiserlichen
Wagenlenker, unterstützt worden.
Kaspar bemerkte, dass die beiden Prinzen Sezioti und
Dangai nicht anwesend waren.
Kaspar blickte auf, und wie der Brauch es verlangte,
sagte er: »Ich erflehe von Dem, der Kesh ist, die Gunst
seines Schutzes, Beistand gegen Ungerechtigkeit und
eine Zuflucht für mich. Ich schwöre ihm meine Treue
und verpflichte mich, ihn mit meinem Leben und meiner
Ehre zu verteidigen, wenn dies zum Nutzen des Kaiserreichs ist.«
Diigai lächelte und winkte ab. »Es ist geschehen. Seid
Ihr das, Kaspar?«, flüsterte er. »Wir haben Euch seit …
wie lange? Seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen!«
»Ja, Majestät«, sagte der ehemalige Herzog.
»Spielt Ihr noch?«
Kaspar lächelte, denn der Kaiser mochte alt sein, aber
sein Gedächtnis schien noch vollkommen in Ordnung.
Sie hatten Schach gespielt, als Kaspar als Junge hier gewesen war, und Kaspar hatte fünf gute Züge machen
können, bevor der Kaiser ihn nach allen Regeln der
Kunst besiegte. »Ja, Majestät, das tue ich.«
»Gut, dann werde ich Euch nach dem Abendessen von
Turgan Bey zu meinen Gemächern bringen lassen. Wir
werden eine Partie spielen. Nur wir beide.«
»Es wäre mir eine Ehre, Majestät«, erwiderte Kaspar
und zog sich unter Verbeugungen zurück. Als er die angemessene Entfernung erreicht hatte, drehte er sich um
und ging zum Haupteingang, während Pasko geduldig
wartete.
»Nach dem Abendessen werde ich mit dem Kaiser
Schach spielen«, sagte Kaspar, als Pasko neben ihm herging.
»Eine persönliche Einladung, den Kaiser heute Abend
in seinen Gemächern zu besuchen?«, fragte der alte Diener und zog die Brauen hoch.
»Ja«, antwortete Kaspar mit verärgerter Miene.
»Ihr scheint nicht erfreut zu sein.«
»Das bin ich auch nicht«, sagte Kaspar leise. »Der alte
Herr ist unwichtig, solange er noch lebt. Nur sein Tod ist
wichtig.« Nun hatten sie die Gemächer, die man ihnen im
Gästeflügel zugewiesen hatte, beinahe erreicht. »Und
wenn es etwas gibt, was mir eine Zielscheibe auf die
Brust malt, dann ist es dieser Besuch.«
»Wieso das?«
Während seine Stiefelschritte auf dem Marmorboden
widerhallten, flüsterte Kaspar: »Weil in Kesh jeder zu
einer Fraktion gehört, und wenn ich das Ohr des Kaisers
habe, aber nicht seiner Fraktion angehöre …« Er zuckte
die Achseln.
»Dann müsst Ihr selbstverständlich ein Freund der
Opposition sein.«
»Genau. Erwarte mindestens zwei Besuche an diesem
Nachmittag, und lass meine besten Sachen reinigen und
für heute Abend vorbereiten.«
»Ihr tragt bereits Eure besten Sachen, Herr.«
»Weißt du, Pasko, es gab Zeiten, da hatte es seine
Vorteile, Herr eines eigenen Landes zu sein, und eine
umfangreiche Garderobe war einer davon. Sieh zu, ob du
einen Schneider in der Stadt finden kannst, der mir bis
zum Sonnenuntergang ein Hemd, eine Hose und eine
Jacke nach der Mode von Olasko anfertigen kann. Und
finde auch einen Stiefelmacher. Ich kann an einem
Nachmittag keine neuen Stiefel bekommen, aber zumindest diese hier reparieren und polieren lassen. Und ich
werde wohl auch einen Hut brauchen. Du weißt, was zu
tun ist.«
Pasko verbeugte sich, sagte: »Ich weiß, was zu tun ist,
Herr«, und verschwand.
Kaspar hoffte, dass Pasko wirklich wusste, was zu tun
war, denn er hatte im Augenblick nicht die geringste Ahnung. Er verließ sich darauf, dass ihm bis zum Abend
etwas einfallen würde.
Der Gefangene sackte auf dem Stuhl zusammen. »Weck
ihn wieder auf«, sagte Tal.
Amafi kam näher zu ihm und flüsterte: »Euer Wohlgeboren, ich habe nun seit zwei Tagen alles getan, was
ich konnte. Dieser Mann ist ausgebildet, eher zu sterben
als seinen Clan zu verraten.« Er warf einen Blick über
die Schulter auf den bewusstlosen Mann. »Ich bin ein
Berufsmörder, Euer Wohlgeboren. Es gibt Menschen, die
diese Art von Beschäftigung genießen, aber ich gehöre
nicht dazu. Ich finde allerdings, dass Folter,
Weitere Kostenlose Bücher