Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 4
Kaspar«, sagte der Kaiser und sah
ihn scharf an. »Ich bin noch nicht tot.«
Verwegen langte Kaspar über den Tisch und griff nach
der kaiserlichen Hand. »Noch für einige Zeit nicht, wenn
ich etwas mitzureden habe.«
Sie wechselten einen Handschlag, dann sagte Diigai:
»Es ist Zeit für Euch, in Euer Quartier zurückzukehren,
und Zeit für mich, wieder den lüsternen alten Narren zu
spielen.« Er hob die Stimme und rief: »Wo sind meine
Hübschen?«
Sofort bewegten sich die Vorhänge zur Seite, und die
jungen Frauen erschienen. »Es gibt schlimmere Rollen«,
stellte der Kaiser fest.
»In der Tat, Majestät.«
Ein Diener führte Kaspar aus dem kaiserlichen Flügel,
und auf dem Rückweg zu seinen eigenen Räumen fragte
sich Kaspar, welche Rolle der Kaiser wohl in der kommenden Vorstellung spielen würde. Bin ich wirklich ein
Verbündeter für ihn?, fragte er sich. Oder spielt er nur
mit mir wie mit so vielen anderen?
Kaspar legte sich aufs Bett, aber es fiel ihm in dieser
Nacht schwer zu schlafen.
Achtzehn
Pläne
Der Gefangene öffnete langsam die Augen.
Ein hübsches Mädchen beugte sich über ihn. Ihr dunkles Haar war hochgesteckt, und sie trug ein Kleid wie die
Töchter der Mejun – Nomaden der Ebene, die den großen
Antilopenherden südlich des Overnsees folgten.
Sie betupfte sein Gesicht mit einem kühlen Tuch und
flüsterte: »Ganz ruhig. Im Augenblick seid Ihr sicher.«
Der Mann konnte kaum sprechen, so geschwollen war
sein Gesicht von den wiederholten Schlägen, die Amafi
ihm versetzt hatte. Er war tagelang an einen Stuhl gebunden gewesen, man hatte ihn geschlagen, gezwungen, sich
an Ort und Stelle zu erleichtern, hatte ihm Essen verweigert und nur so viel Wasser gegeben, wie er brauchte, um
am Leben zu bleiben.
Aber er hatte seine Familie nicht verraten.
»Könnt Ihr Euch aufsetzen?«, fragte das Mädchen,
und nun bemerkte er, dass auch ihr Akzent auf ihren nomadischen Ursprung hinwies.
Er stöhnte leise, als er sich von ihr aufhelfen ließ. Sie
hob einen Becher Flüssigkeit an seine Lippen und sagte:
»Trinkt langsam. Das hier wird Euch beleben.«
Er tat es und stellte fest, dass das bittere Getränk tatsächlich bewirkte, dass er sich lebhafter fühlte, und seine
Schmerzen dämpfte. »Wer seid Ihr?«, flüsterte er heiser.
»Jemand, der dafür bezahlt wird, Euch zu befreien. Ich
heiße Iesha.«
»Mich befreien?«
»Ich weiß nur, dass ich Euch aus diesem Zimmer und
ins Abflusssystem bringen soll. Jemand wird dort warten,
um Euch wegzubringen; ich weiß nicht, wer er ist und
wohin er Euch bringt, und ich will es auch nicht wissen.
Die Männer, die Euch gefangen genommen haben, machen mir Angst; ich werde von hier verschwinden, sobald
ich mein Gold habe.« Sie zog an seinem Arm. »Könnt Ihr
aufstehen?«
Er erhob sich und ächzte, aber er verlor nicht das
Gleichgewicht. »Kommt, wir haben nur ein paar Minuten«, sagte Iesha.
»Wo sind die Wachen?«
»Die denken, dass Ihr im Sterben liegt, also sind sie
nachlässig. Einer wurde weggerufen, und der andere
schläft auf seinem Posten. Es ist nur ein kurzer Weg, aber
wir müssen leise sein.«
»Lasst uns gehen.«
Sie befanden sich in einem kleinen Zimmer, das offenbar zu einem verlassenen Haus gehörte. Iesha legte
dem Nachtgreifer den Arm um die Taille, damit er sich
an sie lehnen konnte. Sie gingen durch eine leere Küche
mit einem Tisch, auf dem eine Laterne stand. Ein Mann
lag mit dem Oberkörper auf dem Tisch und schnarchte
leise. Das Mädchen half dem Gefangenen, den Tisch zu
umgehen und in einen weiteren Raum zu gelangen, dann
gingen sie durch eine Tür auf die Straße hinaus.
Er sah sich um; es war mitten in der Nacht, und nur
die leisen Geräusche der Stadt in der Ferne unterbrachen
die Stille. »Wo sind wir?«, flüsterte er.
»Im Kumhar-Viertel. Es ist nicht weit bis zu den Abwasserkanälen.«
Iesha half ihm zu einem Eisengitter mitten auf der
Straße. Sie beugte sich hinunter und zog daran, aber es
bewegte sich nur ein wenig. »Lasst mich Euch helfen«,
sagte der geschwächte Gefangene, und er hätte beinahe
einen Schmerzensschrei ausgestoßen, als er sich vorbeugte und das Gitter packte. Zusammen zogen sie es
beiseite, und im Licht einer entfernten Laterne konnten
sie die Eisensprossen erkennen, die in die Steine eingelassen waren. »Könnt Ihr hinuntersteigen?«, flüsterte sie.
»Ja«, sagte er und kletterte langsam die Eisensprossen
hinunter. Durch reine Willenskraft schaffte er es bis zum
Boden, wo sich
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