Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 4
waren vielleicht Banditen, wie die Jungen
sagten, aber vielleicht auch mehr als das. Ganz gleich
wie, Pug wird uns wegbringen, nur für den Fall, und es
wird einen anderen Wirt und seine Familie geben. Sie
werden sich als entfernte Verwandte ausgeben oder behaupten, dass sie das Gasthaus von uns gekauft haben
oder so etwas.« Er sah sich um, als bedauerte er bereits,
dieses gemütliche kleine Gasthaus verlassen zu müssen.
»Die Dorfleute wissen genug, um Fremden nichts zu verraten, aber die alte Hexe weiß bereits zu viel, und niemand kann sie davon abhalten, zu tun, was immer sie
will; diese Jungen stellen nur ein weiteres Problem dar,
wenn du sie hier lässt. Wenn man ihnen gefolgt ist, und
wenn man weiß, dass sie mit Caleb unterwegs waren …
Es ist das Beste, wenn wir alle so schnell wie möglich
von hier verschwinden. Und wenn sie Calebs Lehrlinge
waren, wie sie sagen, dann weißt du, was das bedeutet.«
Magnus sah die beiden Jungen an und sagte: »Er sieht
etwas in ihnen. Nun gut.« Dann wandte er sich an die
Jungen: »Stellt euch dicht neben mich, wenn ich meinen
Bruder hochhebe.«
Er griff nach unten, und obwohl Caleb etwa gleich
groß und gleich schwer war wie sein Bruder, hob Magnus ihn so mühelos hoch, als wäre er ein Kind. »Und
jetzt bleibt ganz dicht in meiner Nähe.«
Tad und Zane taten, was man ihnen gesagt hatte, und
wurden plötzlich für einen Augenblick in Dunkelheit getaucht. Im nächsten Moment standen sie in einem breiten
Flur.
Zane wäre beinahe vornübergefallen, so abrupt waren
die Veränderung und die folgende Orientierungslosigkeit.
Tad sah sich um und blinzelte.
Der Mann, den McGrudder Magnus genannt hatte, begann mit Caleb den Flur entlangzugehen und ließ die
Jungen einfach stehen. Sie blickten einander an, und beide sahen ein Spiegelbild der eigenen verdutzten Miene.
Dann nickte Zane, und sie drehten sich um und folgten
dem Mann, denn sie wollten auf keinen Fall an diesem
seltsamen Ort allein gelassen werden.
Selbst mit seinem Bruder auf den Armen bewegte sich
Magnus schnell, und die Jungen mussten sich beeilen,
um mit ihm Schritt zu halten. Sie bemerkten nicht viel
von ihrer Umgebung, aber es war deutlich, dass sie sich
offenbar in einem massiven Gebäude befanden, denn alle
Flure, durch die sie kamen, hatten Wände und Fußböden
aus Granit, beleuchtet mit Fackeln, die in schmiedeeisernen Haltern zu beiden Seiten einer Reihe schwerer Holztüren steckten. In der Mitte jeder Tür gab es ein kleines
Fenster, kaum mehr als ein Guckloch.
»Das hier sieht aus wie ein Kerker«, murmelte Zane.
»Woher willst du das wissen?«, fragte Tad im Flüsterton. »Hast du je einen gesehen?«
»Nein, aber du weißt schon, was ich meine. So werden
Kerker in Geschichten doch immer beschrieben.«
»Ich weiß, was du meinst«, sagte Tad, als sie um die
Ecke bogen, um die Magnus gerade verschwunden war.
Die beiden Jungen blieben abrupt stehen. Vor ihnen
öffnete sich ein breiter Flur in eine riesige Halle. Die
Gewölbedecke war so hoch, dass man sie kaum erkennen
konnte, und ihre Oberfläche war von dem aufsteigenden
Ruß von mindestens hundert Fackeln rings um den Raum
dunkel geworden. An der gegenüberliegenden Wand
stand die heroische Statue einer Frau, die die Arme ausstreckte, als wolle sie alle umarmen, die in der Halle
standen. Hinter ihr gab es auf beiden Seiten kleinere Reliefs, die in die Wand gemeißelt waren.
»Ist das, wer ich denke, dass es ist?«, flüsterte Tad.
»Ich glaube schon. Sie hat das Netz über dem rechten
Arm«, erwiderte Zane.
Beide Jungen vollführten jede Schutzgeste, die sie je
bei einem Spieler, Fuhrmann oder Lastenträger gesehen
hatten, und dann folgten sie dem weitereilenden Magnus.
Sie wussten nun, dass sie sich im Tempel von Lims
Kragma, der Todesgöttin, befanden.
Mehrere schwarz gewandete Gestalten erschienen aus
ein paar Türen links von der Statue, und plötzlich standen
auch zwei Männer hinter den Jungen. Einer eilte an ihnen
vorbei, aber der andere blieb stehen und fragte leise:
»Was habt ihr hier zu suchen?«
Tad zeigte auf Magnus, der nun seinen Bruder zu Füßen der Statue niederlegte, und sagte: »Wir sind mit ihm
gekommen.«
»Dann folgt mir«, erwiderte der Mann.
Sie nickten und eilten hinter ihm her.
Zane betrachtete den Mann aus dem Augenwinkel,
denn er wagte es nicht, ihn direkt anzusehen. Er sah unauffällig aus und war beinahe kahl, wenn man von einem
Stoppelkranz an seinem Hinterkopf einmal absah. Er
wirkte vollkommen normal – nur,
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