Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 4
finde, die
Götter haben manchmal einen boshaften Sinn für Humor.«
»Das ist wahr, Euer Wohlgeboren. Mein Vater, ein gelegentlich weiser Mann, sagte einmal, dass wir nur dann
gesegnet sind, wenn die Götter uns ignorieren.«
Tal schaute wieder zu Kaspar. »Etwas geschieht.«
Amafi drehte sich um und sah, dass ein Hofbeamter
mit Kaspar sprach, und einen Augenblick später folgten
Kaspar und Pasko dem Mann durch die kleine Seitentür,
die Kaspar Amafi gegenüber erwähnt hatte. Tal seufzte.
»Nun wird sich bald zeigen, ob unsere Pläne bereits verhindert werden, bevor wir überhaupt begonnen haben sie
auszuführen.«
»Wollen wir hoffen, dass die Götter uns heute ignorieren, Euer Wohlgeboren.«
Kaspar wurde von einem sehr höflichen Beamten durch
eine lange Reihe von Fluren geführt. Man geleitete ihn
durch Seitengänge um den Hauptaudienzsaal herum, der
für die Begrüßung ausländischer Würdenträger benutzt
wurde, und auf eine Flucht von Arbeitszimmern für die
höherrangigen Regierungsbeamten zu.
Der Kaiserpalast nahm die gesamte obere Hälfte eines
großen Plateaus oberhalb des Overnsees und der unteren
Stadt am Fuß des Plateaus ein. Vor langer Zeit schon hatten keshianische Herrscher oben auf dieser Anhöhe eine
massive Festung errichtet, eine hervorragend zu verteidigende Stellung, um ihre kleine Stadt darunter zu schützen. Im Lauf der Jahrhunderte hatte man immer wieder
an diese Festung angebaut, sie umgestaltet und erweitert,
bis der gesamte obere Teil des Plateaus bebaut war. Unterirdische Gänge führten tief in den Boden, einige davon
bis in die untere Stadt. Kaspar fand, dass das Ganze an
einen Bienenstock erinnerte. Und als Ergebnis wusste er
kaum mehr, wo er sich befand. Selbstverständlich hatte
er sich vor diesem Unternehmen auch nie Gedanken machen müssen, hier die Orientierung zu verlieren, denn als
er den Palast als ausländisches Staatsoberhaupt besuchte,
war stets ein aufmerksamer keshianischer Adliger oder
Bürokrat an seiner Seite gewesen, um sich um seine Bedürfnisse zu kümmern.
Kaspar verstand die Organisation der keshianischen
Regierung so gut, wie es ein Ausländer konnte, und er
wusste, dass dieses Land mehr als jedes andere auf Midkemia von Bürokratie beherrscht wurde, einem System,
das noch jede Dynastie überdauert hatte. Könige erließen
Dekrete, und Fürsten befehligten Armeen, aber wenn die
Dekrete nicht an die Bevölkerung weitergeleitet wurden,
hielt sich niemand daran, und wenn Befehle, Proviant
und Ausrüstung zu transportieren, nicht erteilt wurden,
hungerte die Armee eines Fürsten bald schon im Feld,
oder sie meuterte.
Bei mehr als einer Gelegenheit war Kaspar für die
vergleichsweise überschaubare Größe seines Herzogtums
dankbar gewesen. Er kannte den Namen eines jeden
Würdenträgers und Beamten in der Zitadelle von Olasko.
Hier bezweifelte er, dass dem Kaiser auch nur die Namen
jener bekannt waren, die in seinen Privatgemächern arbeiteten.
Sie erreichten ein großes Arbeitszimmer, und Pasko
wurde angewiesen, draußen auf einer Steinbank zu warten. Kaspar führte man durch die Tür in einen noch größeren Raum, einen, in dem eine seltsame Mischung aus
Prunk und Funktionalität herrschte. In der Mitte des
Zimmers stand ein großer Tisch, hinter dem ein Mann
auf einem Stuhl saß. Er war einmal kraftvoll gewesen,
nun aber eher fett, obwohl sich unter diesem Fett immer
noch Muskeln verbargen. Kaspar wusste, dass sich im
Kopf dieses Mannes ein scharfer, gefährlicher Verstand
befand. Er trug die traditionelle Kleidung derer vom
Wahren Blut: einen Leinenkilt mit einem gewebten Seidengürtel und geschnürte Sandalen. Seine Brust war
nackt, wenn man einmal von der beeindruckenden Menge an Schmuck absah, mit der er behängt war, überwiegend Gold und Edelsteine. Das Ganze bildete einen intensiven Kontrast zu seiner nachtschwarzen Haut. Er betrachtete Kaspar aus so dunkelbraunen Augen, dass sie
beinahe ebenfalls schwarz wirkten, und dann lächelte er,
und seine weißen Zähne blitzten in dem dunklen Gesicht.
»Kaspar«, sagte er freundlich. »Ihr habt Euch verändert, mein Freund. Ich würde behaupten, zu Eurem Vorteil, wenn eine solche Anmerkung nicht zu vertraulich
wäre.« Er bedeutete dem Beamten, draußen zu warten,
dann schickte er auch die beiden Wachposten an der Tür
weg.
Kaspar nickte. »Turgan Bey, Meister der Festung.
Warum überrascht mich das nicht?«
»Ihr glaubtet tatsächlich, der ehemalige Herzog
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