Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 5
Jungen zu töten,
all das ist falsch. All das wurde uns aufgezwungen,
aber es ist nicht der wahre Weg der Dasati.«
Valko riss den Mund auf. Kein Wunder, dass der
alte Krieger ihm das nicht an einem öffentlichen Ort
gesagt hatte. Sein Herz schlug heftig.
»Dein Vater wird dir noch mehr verraten. Rede
mit niemandem über das, was ich gerade angesprochen habe, und stelle mir keine Fragen mehr«, sagte
der alte Lehrer. »Wir trennen uns hier, aber glaube
mir, wenn ich dir sage, dass der nächste Tag entscheidend für dein Überleben sein wird. Wenn wir
uns das nächste Mal begegnen, wirst du verstehen,
wieso ich so vorsichtig war.« Er winkte einmal zu
der fernen Burg, grüßte Valkos dort wartenden Vater, dann wendete er sein Varnin und bedeutete seinen beiden Dienern, ihm zu folgen.
Der junge Mann sah ihm verdutzt hinterher. Er
dachte an all die Dinge, die Hirea ihm gesagt hatte.
Der nächste Tag wird entscheidend für dein Überleben sein … Er fragte sich, was das bedeutete. Ein zurückkehrender Sohn, erprobt und ausgebildet, stellte
sicher für seinen Vater eine Gefahr dar, und Valko
war ein besonders gefährlicher Gegner, aber er wusste
auch, dass sein Vater vielleicht der gefährlichste
Feind war, dem er in nächster Zeit gegenüberstehen
würde. Hirea mochte ein guter Lehrer sein, aber seine
besten Tage waren vorüber; Aruke war immer noch
ein Schwertkämpfer, mit dem man rechnen musste.
Valko ritt ruhig weiter; er wollte nicht zu eifrig
wirken. Er erreichte das Tor der Burg und bemerkte,
dass beide Tore weit für seine Rückkehr geöffnet waren. Er war dankbar für die Geste. Für gewöhnlich
wurde für einen einzelnen Reiter nur ein Torflügel
geöffnet.
Im Haupthof der Burg sah er seinen Vater auf dem
Balkon stehen, wie er zu ihm herunterschaute. Ein
Geringerer, der Verwalter seines Vaters, näherte sich
mit gesenktem Blick und sagte: »Junger Herr, Euer
Vater wünscht, dass Ihr Euch zurückzieht und Euch
ausruht. Er wird Euch nach dem Essen in seiner privaten Kammer sehen.«
Valko stieg ab und fragte: »Ich werde heute Abend
nicht mit ihm speisen?«
»Nein, Herr«, sagte der Mann mit einem leichten
Zusammenzucken, als erwartete er eine Strafe dafür,
dass er vielleicht schlechte Nachrichten überbrachte.
»Er hat im Moment andere Sorgen, möchte Euch
aber sehen, sobald die Umstände es erlauben. Das
Essen wird auf Euer Zimmer gebracht werden.«
Valko beschloss, die Sache mit dem Diener nicht
weiter zu verfolgen. Er aß nicht gerne allein; die Zeit,
die er mit den anderen neun überlebenden Kriegern
in der Ausbildung verbrachte, hatte ihn Gesellschaft
schätzen gelehrt, etwas, das ihm in seiner Kindheit
überwiegend gefehlt hatte.
Er ließ die Geringeren sein Reittier wegbringen
und ging langsam in die große Burg. Wie bei allen
Dingen schien auch der Stil der Architektur zu besagen, dass größer auch mächtiger bedeutete. Valko
sah jetzt, wo in unzähligen Jahren immer wieder etwas hinzugefügt worden war: Die Außenmauer war
erweitert worden, es gab zusätzliche Häuser für Diener und Geringere und Unterkünfte für die anderen
Reiter der Sadharin, sollten sie anwesend sein, und
das alles machte die Burg schwer zu verteidigen. Als
er durch das große Doppeltor des unteren Hofs kam,
hätte er bereits mindestens drei, wenn nicht mehr
vernünftige Pläne für eine Belagerung oder einen
Sturm auf die Burg seines Vaters darlegen können.
Er zog den Schluss, dass es seine erste Tat als
Herrscher sein würde, diese übersehenen und
nachteiligen Stellen des Entwurfs zu bereinigen.
Er ging durch die riesigen Hallen, und wohin er
auch schaute, sah er nichts als Dasati-Tradition:
massive, schlichte Säulen und glatte Wände mit
präzise eingesetzten Steinen, die sich so weit zogen,
wie das Auge reichte, was bedeutete, dass es viele
Schwachpunkte an den Mauern gab, weil es an Bogenschützenplätzen fehlte. Es würde sicher nicht
leicht sein, diese uralte Burg zu nehmen, aber es war
alles andere als unmöglich. Als die Treppe zum Familienquartier vor ihm lag, wusste er bereits, dass er
mehr Wachen und Späher aufstellen sollte, an stra
tegischen Positionen.
Er erreichte sein eigenes Quartier und fragte sich,
ob jeder Sohn die Burg seines Vaters gleichzeitig
als eine Zuflucht und einen zu nehmenden Preis betrachtete. Als er die Tür aufschob, stellte er fest,
dass sein Vater seine Räumlichkeiten neu eingerichtet hatte. Das schlichte Bett, in dem er zuvor geschlafen hatte, war ersetzt worden durch ein
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