Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 5
Arbeitsplatz, sondern um so etwas wie ein Lagerhaus.
An der Wand links von ihnen gab es Regale vom
Boden bis zur Decke, und auf jedem standen kleine
Holzkisten mit jeweils einem sorgfältig angebrachten
Namen und einer Nummer. Es musste hunderte von
diesen Kisten geben, denn der Raum erstreckte sich
weit nach hinten. Ein schmaler Weg verlief zwischen
den Regalen und der nackten rechten Wand. Das einzige andere im Raum waren ein kleiner Tisch und ein
Stuhl, auf dem ein Mönch saß. Der alte, faltige Mann
war vielleicht der winzigste Mensch, den die Jungen
je gesehen hatten; selbst ein durchschnittlicher
Zwerg hätte ihn überragt. Sein Kopf war rasiert wie
der von Bruder Kynan, aber er hatte einen langen
roten Bart mit grauen Strähnen. Die Augen des Mannes waren lebhaft blau, und sein Gesicht schien zu
einem dauerhaften Lächeln verzogen zu sein. »Neue
Jungen!«, rief er begeistert. »Ich hörte, dass ein paar
Neue kommen! Das ist wunderbar!«
»Bruder Kynan hat uns angewiesen, hierherzukommen«, sagte Tad. »Seid Ihr Bruder Timothy?«
»Ja, der bin ich in der Tat, der bin ich.« Er lachte
leise weiter. »Also gut, dann lasst uns beginnen.
Zieht euch aus.« Er stand auf und huschte den Gang
entlang, und die Jungen starrten einander überrascht
an.
»Vielleicht erhalten wir hier unsere Uniformen«,
sagte Zane.
»Nein«, erwiderte Tad. »Wirklich?«
Jommy verzog ein wenig das Gesicht, als er sein
Hemd auszog, und als Bruder Timothy zurückkehrte
und drei Holzkisten vor sich gestapelt trug, die drohten, bei jedem seiner Schritte umzufallen, standen die
Jungen nackt vor ihm.
Tad sagte: »Hier, Bruder, ich helfe Euch«, und
griff nach der obersten Kiste.
»In Ordnung«, sagte der Mönch. »Ihr nehmt jeder
eine.« Als sie jeder eine Kiste hielten – in der sich
Hemden, Hosen, Mützen und Stiefel befanden –, sagte er: »Nun, steht nicht dumm herum. Zieht euch an.
Wenn etwas zu klein oder zu groß ist, werden wir es
umtauschen.«
Sie brauchten nur eine Minute, um zu erkennen,
dass er Jommy eine viel zu kleine und Zane eine viel
zu große Uniform gegeben hatte. Als sie tauschten,
kamen sie zu dem Schluss, dass es einigermaßen
passte. Die Stiefel waren eine andere Sache, und der
kleine Mönch musste mehrmals weit nach hinten in
den Lagerraum gehen, um Stiefel zu finden, die ihnen passten. Aber am Ende trugen alle die gleichen
Sachen, die sie bei den anderen gesehen hatten.
Tad musste plötzlich lachen, und Jommy sagte:
»Was ist?«
»Es tut mir leid, Jommy, aber …«
»Du siehst vollkommen lächerlich aus«, erklärte
Zane.
»Na ja, ihr wirkt auch nicht gerade, als würdet ihr
die Mädchen rings um den Brunnen in Kesh, an dem
ich euch begegnet bin, in absehbarer Zeit beeindrucken.«
Tad lachte noch mehr.
»Mädchen«, sagte Bruder Timothy. »Ihr dürft
nicht über Mädchen reden. Das ist nicht gestattet.«
Alle drei hörten auf zu lachen, und Tad fragte:
»Keine Mädchen?«
»Nein«, erwiderte der Mönch. »Wir wissen, wie
Jungen sind, ja, das wissen wir. Dass wir im Zölibat
leben, bedeutet nicht, dass wir uns nicht erinnern,
obwohl es nicht guttut, zu viel daran zu denken. Als
ich noch ein Junge war, bevor ich meine Berufung
erhielt …« Er ließ den Gedanken sich selbst beenden. »Nein, keine Mädchen. Ihr müsst lernen, ja, lernen und üben, viel üben. Aber keine Mädchen.«
Der seltsame kleine Mönch schien nun vollkommen verwirrt zu sein, und Jommy fragte: »Bruder,
was geschieht als Nächstes?«
»Als Nächstes?«, fragte der Mönch.
»Was tun wir als Nächstes?«, fragte Jommy genauer.
»Oh, was ihr als Nächstes tut!«, sagte der Mönch
und kehrte zu dem heiteren Zustand zurück, in dem
die Jungen ihn gefunden hatten. »Nun, ihr lernt, und
ihr übt.«
Tad verdrehte die Augen, während Zane sich entschloss, die Dinge aufzuklären. »Er meint, was wir
jetzt gleich tun – sind wir hier fertig?«
»Ja, ja. Ihr kommt hierher, wenn ihr Ausrüstung
benötigt, und wenn ihr ein Kleidungsstück zerreißt
oder neue Stiefel braucht – obwohl der Vater es nicht
mag, wenn ihr eure Stiefel abnutzt.«
»Welche Art Ausrüstung?«, fragte Tad.
»Oh, die Ausrüstung!«, rief der kleine Mönch, und
schon war er wieder hinten im Raum verschwunden.
Einen Augenblick später kehrte er mit drei von den
seltsamen Lederbeuteln zurück, die sie schon bei den
anderen Studenten gesehen hatten. »Hier ist eure
Ausrüstung. Das hier sind Studentenbeutel. Schaut
hinein!«
Die Jungen
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