Feist, Raymond - Die Erben von Midkemia
Korb mit Phiolen, Tiegeln und kleinen Päckchen in Wachspapier, und eine zweite junge Frau folgte mit einem Topf mit dampfendem Wasser. Audarun bereitete schnell ein intensiv duftendes Getränk zu, und als es fertig war, bedeutete sie Pug und Magnus, Macros zu stützen, und führte den Becher an seine Lippen.
Macros wurde lebhaft genug, um das Gebräu zu trinken, und nach ein paar Minuten wurde er wieder ein wenig aufmerksamer. »Bin ich ohnmächtig geworden?«, fragte er.
»Ja«, antwortete Audarun. »Oder genauer gesagt, Ihr habt die Fähigkeit verloren, bei Bewusstsein zu bleiben.«
»Ich sterbe«, sagte Macros.
»Wer hat Euch das gesagt?«, fragte Audarun. Sie zog den kleinen Stuhl neben die Pritsche und setzte sich.
»Ein Behandler. Ein Heiler …« Er wirkte verwirrt. »Ich weiß nicht mehr, wo.
Meine Erinnerungen verblassen. Es fällt mir jeden Tag schwerer, mich an Dinge zu erinnern, die ich vor Wochen noch genau wusste.« Er blickte Pug an.
»Ich wusste, dass vieles von meinem Menschenleben weg war, aber jetzt verliere ich auch die Erinnerungen an
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dieses Leben hier.« Er sah sie an. »Ich fürchte, ich habe nur noch wenig Zeit.«
Sie blickte auf ihn herab. »Ihr habt überhaupt keine Zeit mehr, wer immer Ihr wart. Denn Ihr sterbt nicht, mein Freund, Ihr seid bereits tot.«
Pug und Magnus standen vollkommen verblüfft da. Schließlich sagte Macros leise: »Ja, das ist nur logisch.« »Für mich nicht«, wandte Pug ein.
Audarun sah Pug an. »Da Ihr hier seid, in dieser perfekten Verkleidung, kann ich nur annehmen, dass Ihr ein Priester oder Magier von großen Fähigkeiten seid. Illusion ist etwas, das uns Dasati nicht sonderlich liegt. Es ist nicht notwendig. Wir sind ein Volk, das Kraft und Zwang mehr als alles andere schätzt. Aber während die Todespriester die Nekromantie vielleicht in all ihren subtilen und dunklen Aspekten verstehen, verstehen wir von der Bluthexen-Schwesternschaft das Leben in all seinen subtilen und hellen Aspekten.« Sie hielt einen Moment inne, dann sagte sie: »Dieses Gefäß enthält kein wirkliches Leben.« Sie sah Macros in die Augen und fügte hinzu: »Ihr seid ein Simulacrum, falsches Leben, das den Lebenden ähnelt.«
Sie warf einen Blick über die Schulter zu der jungen Helferin und bat um ein paar weitere Gegenstände, und die junge Frau ging. Dann schaute sie Pug an, dann Magnus und schließlich wieder Macros. »Die Magie, die benutzt wurde, um Euch zu schaffen, ist gewaltig, mir vollkommen fremd und von einem Entwurf, den ich nicht einmal anfangen kann zu verstehen. Kein Sterblicher könnte etwas wie Euch schaffen, und das lässt nur eine einzige Alternative.«
»Ein Gott«, sagte Pug.
»Von Eurer Welt«, fügte sie rasch hinzu. »Irgendwer in 151
Eurem Universum hielt es für wichtig, die Grenze zwischen unseren Reichen zu durchdringen, in Erwartung einer Tat des Dunklen und um dem Weißen zu helfen. Ich bin keine Theologin, aber es gibt in der Schwesternschaft mehr unbesudelte Überlieferungen als sonstwo in diesem Reich, denn die Hierophanten des Dunklen haben überall sonst alles bis auf die erlaubte Doktrin vernichtet. Ich werde sehen, ob ich einen Hinweis auf solche Dinge finden kann, aber eins weiß ich schon jetzt: Es wurden Regeln verletzt, Regeln, die für eine höhere Macht so bindend sind, wie die Notwendigkeit zu atmen und zu trinken für uns Sterbliche. Wer immer das getan hat, wer immer dieses
… Geschöpf hierherschickte, wusste, dass die Folgen einer solchen Tat ebenso katastrophal sein könnten wie das, was er versuchte zu verhindern.«
»>Verzweifelte Zeiten verlangen verzweifelte Maßnahmen ist ein altes Sprichwort bei unserem Volk«, sagte Magnus.
»Mag sein«, murmelte die Bluthexe. »Es mag manchmal weise sein, einen kontrollierten Brand zu legen, um zu verhindern, dass ein Lauffeuer sich weiter ausbreitet, aber wenn man dann doch die Beherrschung über das Feuer verliert…«
»Wird es nur ein größeres Lauffeuer«, sagte Pug. Dann schwieg er.
Einen Augenblick später sagte das Geschöpf, das sich Macros nannte: »Wenn ich nicht bin, wer oder was ich denke … warum bin ich dann hier?«
»Das kann ich Euch nicht sagen«, erwiderte Audarun. »Als wir vor mehr als zehn Jahren erfuhren, dass jemand, der sich der Gärtner nannte, erschienen war, warteten wir und beobachteten. Wir wussten, dass hinter Euch mächtige Kräfte steckten, denn Ihr brauchtet Euren Anhängern 151
nur zu erscheinen, und sie taten, was Ihr wolltet,
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