Feist, Raymond - Krondor-Saga 3
Handschrift, und er ist mit Kräften verbündet, die noch dunkler sind als die, die Ihr in dem Bild sehen könnt. Seht zu, dann werdet Ihr es erfahren.«
Der Mann drehte sich zu den versammelten Kreaturen um, und James’ Augen weiteten sich, als er seinen eigenen Körper auf den Felsen liegen sah, den Brustkorb wie von einer großen Hand aufgerissen. Ganz in der Nähe lagen Solon und Jazhara. Kendaric war noch am Leben, aber zusammengeschnürt wie ein Kalb, das zur Schlachtbank geführt wird. Hilflos kämpfte er gegen die Stricke an. Ein schweres Amulett mit einem blutroten Rubin hing an einer Kette um den Hals des Mannes, und in einer Hand hielt er einen Dolch mit langer schwarzer Klinge. In der anderen befand sich ein großer eisblauer Stein. »Die Träne«, flüsterte Solon.
Mit einer einzigen Bewegung kniete der Magier sich hin und schnitt Kendaric die Brust auf, schob seine Hand in den Brustkorb und riss das Herz heraus. Er hielt das immer noch schlagende Herz in die Höhe, drehte sich um und zeigte es den Dämonen. Dabei tropfte Blut auf die Träne, deren Farbe sich von eisblau zu blutrot veränderte, was die Meute in Jubelschreie ausbrechen ließ. Übergangslos verschwand das Bild.
»Lasst euch von diesen Visionen nicht überwältigen«, sagte Hilda.
»Aber sie werden mich töten! Sie werden uns alle töten!« Kendarics Stimme klang hysterisch.
»Sie werden es versuchen, mein Junge«, sagte Hilda.
»Aber die Zukunft ist nicht in Stein gemeißelt. Und das Böse ist sehr geschickt darin, nur das zu sehen, was es sehen will. Das ist seine Schwäche. Es kann die Möglichkeit eines Fehlschlags nicht in seine Überlegungen einbeziehen. Ihr hingegen tut das jetzt. Mehr noch – ihr wisst, welchen Preis ihr bezahlen müsst, solltet ihr scheitern.«
»Dann sind diese Visionen also …?«, fragte Jazhara.
»Sie dienen als eine Art Warnung. Ihr wisst jetzt mehr über euren Feind und seine Pläne, als er über euch weiß. Er weiß, dass ihr die Träne der Götter zurückholen wollt –«
Solon legte die Hand an seinen Kriegshammer. »Woher wisst Ihr das, Frau?«
Hilda wedelte abwehrend mit der Hand. »Ihr seid nicht die Einzigen, die wissen, wie das Universum funktioniert, Ishapianer. Ich bin schon alt gewesen, da war Eure Großmutter noch nicht einmal geboren, und wenn die Götter gnädig sind, werde ich noch so lange leben, bis Eure Urenkel gestorben sind. Aber wenn nicht, war ich immerhin auf meine eigene Weise stets eine Dienerin des Guten, und das macht mich zufrieden. Vielleicht ist es mein Schicksal, Euch zu unterrichten, und ich bin nur deswegen noch hier. Vielleicht endet also meine Zeit, wenn Ihr Eure Aufgabe gemeistert habt oder an ihr gescheitert seid. Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass ich nicht die Einzige sein werde, auf die ein schreckliches Ende wartet, solltet Ihr scheitern.
Ihr dürft nie vergessen, dass Visionen eine Form gewaltiger Magie sind, doch selbst die beste aller Visionen bleibt doch eine Illusion, eine Widerspiegelung von Möglichkeiten. Ihr könnt eure Zukunft noch immer ändern.
Und ihr müsst es auch tun!« Sie stand auf. »Und jetzt geht, denn die Zeit ist knapp, und ihr habt noch eine Menge zu erledigen. Diese Kreatur, die ihr gesehen habt, wird in der alten Sprache Gerippe genannt. Er lebt nur dank mächtigster, schwärzester Künste. Er wird euch zu dem führen, was euch daran hindert, das Schiff zu heben – was immer es auch sein mag. Ihr müsst ihn finden, ihn vernichten und dem Übel ein Ende bereiten, das dazu führt, dass Seeleute in ihren eigenen versenkten Schiffen ein nasses Grab finden, Diener der Dunkelheit durch die Nacht wandeln und alte Frauen böse Träume haben. Und ihr müsst es tun, bevor der andere auftaucht, denn den halte ich sogar für noch gefährlicher. Und wenn der erst einmal das Amulett in seinem Besitz hat… nun, ihr habt gesehen, was er vorhat.«
Hilda setzte sich in Bewegung und ging zu der mittlerweile erkalteten Bratpfanne hinüber. »Bruder Solon, den Talisman, bitte …«
Solon nahm den Beutel aus der Innentasche seiner Tunika. Auf Hildas Anweisung hielt er den Beutel auf, während die alte Frau einen kleinen silbernen Trichter über dessen Öffnung hielt und die zu Asche verbrannten Überreste der Vampirhand hineinrieseln ließ. Dann nahm sie Solon den Beutel aus der Hand, zog die Schnüre zu, murmelte eine kurze Beschwörung und schüttelte ihn leicht, ehe sie ihn dem Mönch zurückgab.
»Jetzt habt Ihr den Schlüssel zum
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