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Feldpostnummer unbekannt

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Titel: Feldpostnummer unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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umständlich. Es schmeckte wie Salzsäure. Er trank die Salzsäure aus wie den Kelch des Leidens.
    »Vater …«, sagte Thomas. Es fiel ihm schwer. Fast mühselig sah Arthur Kleebach seinem Ältesten in die Augen. »Du weißt es?« fragte Thomas.
    »Ja.«
    »Und du hast die Nachricht nicht … nicht weitergegeben?«
    »Ja.«
    »Warum das?« fragte Thomas weiter, und schämte sich der Frage.
    Sie sahen aneinander vorbei. In ihnen tobte der nämliche Kampf um dieselbe Sache. Und sie wollten es sich nicht anmerken lassen. Sie betrachteten die verschmutzten Gardinen und die unsauberen Tischtücher, die Gläser, die gespült werden müßten, und die Landser in der Ecke, die es eilig hatten, sich vor Mittag noch zu betrinken.
    »Noch ein Kaffee, die Herren?« fragte die Kellnerin.
    Sie überhörten es. Die Kellnerin zog schimpfend ab. »Eingebildeter Affe!« maulte sie, »bloß weil er Lametta hat, braucht er keine Antwort mehr zu geben …«
    »Du weißt, Mutter ist schwer krank«, sagte Arthur Kleebach behutsam in die Stille hinein.
    »Ja.«
    »Wir müssen sie schonen … das begreifst du doch, mein Junge? …«
    »Ja, Vater.«
    »Wenigstens, solange mit … Fritz noch Hoffnung ist«, setzte er müde hinzu. »Er ist doch bloß vermißt …«
    »Bloß vermißt«, wiederholte Thomas mit einer Stimme, die sich auflöste.
    Sie schwiegen wieder. Ihre Augen wichen sich aus. Sie waren Gefährten der Verzweiflung, und Komplicen der Menschlichkeit. Sterben ist gar nichts, dachte Thomas verbittert, lügen muß man können. Das ist wichtiger. Und nötiger. Und dabei ist alles Lüge in dieser Zeit, der ganze Krieg ist eine einzige Lüge, die Hure Propaganda, die gefärbten Nachrufe, das Gefasel vom Endsieg! Aber wie leicht lügen diese verfluchten Propheten des Untergangs, und wie schwer wird es uns fallen, Vater und mir …
    Arthur Kleebach betrachtete seinen Ältesten fast flehend. Seine Pupillen waren wie blind.
    »Vater«, erwiderte Thomas ganz leise, »ich verstehe dich, glaube mir … aber du darfst das nicht tun, du schaffst das nicht, verstehst du?«
    »Nein«, antwortete der Vater hart.
    »Du darfst dich nicht auch noch kaputt machen … Mutter braucht dich, gerade jetzt, wo wir weg sind …« Er sah ihn fest an, und setzte beschwörend hinzu: »Du darfst nicht vor die Hunde gehen.«
    Schwer, mühselig wandte Arthur Kleebach seinem Ältesten den Kopf wieder zu, und Thomas erschrak vor der Energie eines Gesichts, das er jetzt zum erstenmal richtig zu sehen glaubte. Es war faszinierend, erschütternd: es war zum Verzweifeln.
    »In wenigen Minuten eine Sondermeldung«, spuckte die Stimme eines Propagandasprechers in den Raum. Das Personal scharte sich um das Empfangsgerät.
    Vater Kleebach erhob sich und warf einen Geldschein auf den Tisch. Thomas folgte ihm mit schnellen Schritten. So schafften sie beide noch rechtzeitig die Flucht vor den Fanfaren der Sondermeldung. Sie liefen nebeneinander her, schweigend. Abrupt blieb Vater Kleebach stehen. »Sagst du es Mutter?« fragte er fast heftig, »bringst du das fertig?« Er betrachtete Thomas unbarmherzig, er ließ den Augen seines Ältesten nicht die mindeste Chance, ihm auszuweichen, und der untersetzte, bescheidene Mann verfügte auf einmal über eine Übermacht, vor der sein Sohn kapitulieren mußte.
    »Thomas«, sagte der Vater ruhig, fast dozierend. »Ich hasse Lügen … ich habe dich, euch alle in diesem Sinn erzogen, und glaub' mir, es war mir ernst damit …«
    Sie gingen weiter, langsam, aber auf ihr Haus zu.
    »Und heute muß ich dich bitten … ja bitten, so sehr ich kann, Thomas, zu lügen … so gut es geht … und es muß gehen …«
    Thomas sah stur geradeaus.
    »Du mußt so gut lügen wie ich«, sagte der Vater abschließend, »versprichst du mir das?«
    Thomas gab keine Antwort. Sein Vater faßte ihn derb am Arm. »Schon gut«, sagte Thomas mürrisch und wünschte sich ein paar tausend Kilometer weit weg von Berlin, nach Nordafrika, mitten in die Wüstenschlacht, wo die blutige Hölle am dreckigsten ist …
    Vom Süden her blies der Schirokko seinen heißen, fauligen Atem über das Mittelmeer. Die Wellen legten sich wie eine weiße Halskrause um den schleichenden Schatten. Es war Nacht, und deshalb fuhr das U-Boot mit halber Kraft über Wasser. Es hatte die angegebene Position im Mittelmeer erreicht, aber von dem britischen Convoy war nichts zu sehen. Der Kommandant hielt einen Funkspruch in der Hand, aus dem er erfuhr, daß aus dem

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