Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition)
steckte sie in ihre Jackentasche. Die Sache mit Henry kam ihr wieder in den Sinn, und ihr wurde klar, dass es nur eine Lösung gab: Sie musste zu ihm gehen und sich entschuldigen. Die Vorstellung, bei ihm zu Hause aufzutauchen, war nicht angenehm: Bestimmt waren auch seine Brüder und seine Mutter sauer auf sie. Aber Felicity wusste, dass sie keine Ruhe finden würde, bis sie es getan hatte.
Schüchtern klopfte Felicity an der Vordertür des Hauses. Henry hatte ihr zwar gesagt, dass dieser Eingang kaum benutzt wurde, aber irgendwie wäre es ihr komisch vorgekommen, das Haus durch die Hintertür zu betreten. Irgendwo in der Nachbarschaft bellte ein Hund, aber bei den Twogoods war es still. Scheinbar war niemand zu Hause.
Sie wollte gerade gehen, da hörte sie von drinnen ein leises Fluchen. Jemand versuchte, die Tür zu öffnen, die – wie Felicity jetzt wieder einfiel – mit Unmengen von Mänteln, Mützen und Schals behängt war.
Dann ging die Tür endlich auf und vor Felicity stand ein mittelgroßer, stämmiger Mann, eine durchaus gut aussehende, wenn auch etwas kantige Erscheinung. Er trug eine Wollweste, und seine grau melierten Haare standen zerzaust vom Kopf ab, als hätte er eben noch geschlafen. Felicity schluckte: Sie hatte es mit Henrys Vater zu tun.
Sie lächelte nervös und griff nach der Holzkugel in ihrer Tasche, um sich Mut zu machen. »Es tut mir leid, dass ich Sie gestört habe«, sagte sie, »aber ich wollte zu Henry.«
Mr Twogood starrte Felicity an. »Er ist nicht da. Er ist mit seinen Brüdern angeln gegangen.« Er verzog das Gesicht. »Ich hab ihnen gesagt, sie sollen ihn mitnehmen, damit Ruhe ist im Haus; ich wollte nämlich ein bisschen schlafen.«
Felicity hatte auf dem Weg hierher immer wieder geübt, was sie Henry sagen wollte. Sie hatte gar nicht an die Möglichkeit gedacht, dass er nicht zu Hause sein könnte. Jetzt war all ihre Energie verpufft, sie fühlte nichts als Enttäuschung.
Henrys Vater entschloss sich, das angeregte Gespräch zu beenden. »Ich werd ihm ausrichten, dass du da warst«, sagte er und schloss die Tür.
Felicity drehte sich um und machte ein paar Schritte durch den Vorgarten, da hörte sie, wie die Tür wieder aufging. Sie wartete, bis Mr Twogood noch einmal den Kopf herausstreckte.
»Du bist die kleine Gallant, oder?«, fragte er. Felicity nickte stumm. Mr Twogood runzelte die Stirn. »Hmm«, sagte er und verschwand wieder.
Felicity ging traurig nach Hause. Offensichtlich hatte Henry daheim erzählt, wie sie ihn behandelt hatte. Sie konnte es ihm nicht übel nehmen. Jetzt hassten sie natürlich alle.
Die ersten Ferientage vergingen schrecklich langsam. Felicitys Vater verhielt sich unverändert seltsam, die Mutter fühlte sich wegen ihrer Schwangerschaft ständig erschöpft und war entsprechend reizbar. Poppy wurde noch öfter als sonst zu Partys und anderen vergnüglichen Veranstaltungen eingeladen, weswegen Felicity den Sticheleien der Großmutter meistens allein ausgesetzt war.
Henry hatte nichts mehr von sich hören lassen. Es läutete zwar ungewöhnlich oft an der Haustür, jedenfalls kam es Felicity so vor, aber vielleicht bildete sie sich das nur ein: Jedes Mal schöpfte sie wieder Hoffnung, es könnte Henry sein, aber sie wurde immer grausam enttäuscht. Offenbar war er ihr wirklich böse. Sie hätte sich dafür ohrfeigen können, dass sie so gemein zu ihm gewesen war.
»Na, lässt sich der kleine dicke Junge nicht blicken?«, fragte die Großmutter, die ganz plötzlich im Zimmer auftauchte, in dem Felicity las. Wie stellte sie es nur immer an, sich so vollkommen lautlos anzuschleichen? »Wahrscheinlich sitzt er mit seinen Brüdern zu Hause und lacht über dich.« Sie nahm die kleine Porzellanfigur, die Felicitys Mutter so gut gefiel, vom Kaminsims.
Felicity selbst hatte das auch schon gedacht, trotzdem war es schrecklich, zu hören, wie es jemand laut aussprach.
»Bei der Regatta bist du dir wahrscheinlich ganz toll vorgekommen, wie so eine richtig kühne kleine Seeheldin, oder?« Die Großmutter hielt das zierliche Figürchen ins Licht und betrachtete es voller Abscheu.
Felicity schluckte – auch das stimmte: Sie hatte wirklich geglaubt, aus ihr könnte eine gute Seglerin werden.
Die alte Dame streifte sie mit einem gereizten Blick. »Diese stumme Unverschämtheit, die du mir gegenüber an den Tag legst, finde ich ganz besonders schwer zu ertragen«, bemerkte sie. Immer noch fiel Felicity nichts ein, was sie sagen konnte.
Plötzlich
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