Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition)

Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition)

Titel: Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Welsh
Vom Netzwerk:
sechs Brüder. »Reagieren Jungen eigentlich genauso empfindlich auf Kränkungen wie Mädchen?«, fragte sie.
    Mr Gallant ließ seine Zeitung sinken und schaute seine Tochter mit abwesendem Blick an. Auf seiner Stirn glänzte Schweiß. »Nur wenn ihnen was an der Person liegt, die eine kränkende Bemerkung macht.« Er tätschelte tröstend ihre Hand. »Du musst dir also keine allzu großen Sorgen machen.«
    Felicity sah schweigend zu, wie er gedankenverloren Butter auf ein Stück Toast strich. Er war schon immer ziemlich zerstreut gewesen, aber sein Verhalten in letzter Zeit war trotzdem merkwürdig. Warum war sie die Einzige, der das auffiel? Sie hatte versucht, mit ihrer Mutter und Poppy darüber zu reden, doch die beiden schienen zu glauben, sie bildete sich das Ganze einfach nur ein.
    Aber Felicity war sicher, dass mehr dahintersteckte. Und ihr wurde mulmig bei dem Gedanken, dass sie sich auf immer weniger Menschen verlassen konnte.
    Felicity saß auf dem Bett in ihrem neuen Zimmer. Selbst das Buch konnte sie nicht von ihren Grübeleien ablenken. Sie war der Antwort auf die Frage, warum Abednego es ihr gegeben hatte, keinen Schritt näher gekommen. Und die Geschichten, die sie las, waren alle so schrecklich, dass sie ihre düstere Stimmung nur noch verstärkten.
    Es war einmal eine Frau, die war eine Hexe, und ihre Seele war schwarz wie verkohltes Holz. Sie hatte ein Dienstmädchen, das schön war und gut, und sie hasste es bis aufs Blut.
    Das Mädchen hatte einen Geliebten, und als die Hexe den sah, wollte sie ihn unbedingt für sich haben. »Bleib bei mir«, sagte sie, »dann will ich dir so viel Gold und Silber geben, wie du tragen kannst, denn ich bin reich.« Aber der junge Mann war ebenso edel und ehrenhaft, wie das Mädchen schön und gut war, und so wies er die Hexe ab.
    Die Liebenden kamen überein, in der Nacht mit einem Boot zu fliehen. Aber die Hexe erfuhr davon und rief einen gewaltigen Wind herbei, der das Boot auf die Klippen warf, sodass es zerschellte, und die beiden Schiffbrüchigen ans Ufer trieb, wo die Hexe auf sie wartete. Und als sie an Land krochen, tötete die Hexe den jungen Mann vor den Augen seiner Geliebten. Dann schleppte sie das Mädchen zu sich nach Hause und schmetterte es auf den Boden, bis es tot war.
    Geschichten von Mord und Folter häufen sich in den letzten zweihundert Jahren, bemerkten die Herausgeber. Sie scheint mit der Zeit eine immer größere Lust an Grausamkeiten zu entwickeln. Auffällig oft wird die »schwarze Seele« erwähnt. Ein versteckter Hinweis auf die äußere Erscheinung der Hüterin?
    Felicity wischte eine Träne von ihrem Nasenflügel. Die Ferien kamen ihr endlos lang vor. Vielleicht hatte ihr Vater recht und Henry legte keinen großen Wert auf ihre Freundschaft – und wenn er es vorher getan hatte, dann war er jetzt bestimmt gründlich davon geheilt.
    Sie tastete unter der Bettdecke nach der sonderbaren Holzkugel, schüttelte sie und lauschte auf das leise klappernde Geräusch. Sie überlegte: Wenn in der Kugel etwas drin war, das klapperte, müsste man sie doch öffnen können? Sie drückte mit den Fingerspitzen von allen Seiten dagegen. Und tatsächlich zeigte sich ein winzig kleiner Spalt. Aufgeregt drückte sie noch fester und versuchte gleichzeitig, die beiden Hälften auseinanderzuziehen.
    Ein Knacken und die Kugel sprang auf. Drinnen lag eine weiße Murmel, aus Marmor, so wie es aussah. Felicity musterte sie neugierig. Sie ließ die Murmel in der Höhlung kreisen, dann schrie sie auf: Die Murmel war herausgesprungen, sie rollte über den Boden in eine Ecke. Und jetzt sah Felicity ein täuschend echt wirkendes Auge, das sie anstarrte.
    Sie hob es auf. Irgendwie kam ihr das Zimmer plötzlich ungeheuer still vor. Sie musste daran denken, wie sie mit dem Fährschiff an der Sturmwolke vorbeigefahren waren.
    Das Auge der Galionsfigur am Bug – natürlich! Der Mann auf dem Schiff hatte erwähnt, dass es fehlte, und Felicity hatte selbst die unheimliche leere Augenhöhle gesehen. Das hier musste das fehlende Auge sein – Abednego hatte es ihr gegeben. Aber warum hatte er es ihr gegeben?
    Sie drehte die Kugel nachdenklich hin und her. Wenn ihre Eltern davon wüssten, würden sie bestimmt darauf bestehen, dass Felicity sie zurückgab. Sie spürte einen Stich im Herzen, wenn sie nur daran dachte. Dieses Auge war ihr Glücksbringer. Sie musste ihn vor ihren Eltern verstecken.
    Hastig legte sie das Auge zurück in die Holzkugel, klappte sie zu und

Weitere Kostenlose Bücher