Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition)
würde ich auch darauf achten, möglichst wenig mit ihr zusammen gesehen zu werden.«
Felicity fasste nach der Holzkugel, die sie immer bei sich trug. Sie rief sich wieder in Erinnerung, was Henry gesagt hatte: Ich wäre eher beunruhigt, wenn sie uns mögen würden. Ohne mit der Wimper zu zucken, starrte sie Miranda an, eisern entschlossen, sich die Kränkung nicht anmerken zu lassen. Dann hob sie die Hand und imitierte das herablassende Winken, das so typisch für Miranda war, und deren Gesicht lief vor Wut rot an. Ein Gefühl des Triumphs glomm in Felicity auf.
»Du warst nicht gerade viel mit deiner Familie zusammen heute«, bemerkte Martha vorsichtig, als sie nach dem Ende der Vorstellung zur Garderobe gingen.
»Nein, und ich hab sie auch nicht besonders vermisst«, meinte Felicity. Dann fand sie, dass das doch ein bisschen komisch klang, und versuchte, die Sache näher zu erklären, aber Martha unterbrach sie.
»Lass nur«, sagte sie. »Ich glaube, ich verstehe das schon … Weißt du, mit meinen Eltern ist das auch nicht immer einfach. Ich meine, irgendwie ist es schon gut, dass sie mich mehr wie eine Erwachsene behandeln, aber manchmal denke ich fast, sie haben vergessen, dass ich auch noch da bin.«
Felicity lächelte mitfühlend.
»Und in letzter Zeit«, fuhr Martha traurig fort, »kommen sie nicht mehr besonders gut miteinander aus. Es macht mich ganz fertig, wenn ich mir andauernd anhören muss, wie sie miteinander streiten.«
Felicity wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie sah Martha jetzt in einem ganz anderen Licht.
»Danke, dass du so nett zu mir bist«, sagte Martha.
Felicity wurde rot. Sie schämte sich bei dem Gedanken, dass sie so unaufmerksam gewesen war und mit ihrem Verhalten Marthas Unglück sogar noch verschlimmert hatte. »Schöne Weihnachten«, sagte sie und umarmte das Mädchen. Selbst in dem dicken Wintermantel fühlte sich Martha klein und verletzlich an. Ihr Schal kitzelte Felicitys Wange.
Martha lächelte und drückte sie ganz fest. »Bis in zwei Wochen«, sagte sie.
Der Heilige Abend kam. Die Luft war schneidend kalt, der Himmel sternenklar. Die Nacht war samtig still, und überall in den Häusern gingen die Kinder ins Bett, ohne Lärm zu machen, denn sie wollten vor der Bescherung am nächsten Morgen noch einmal zeigen, wie brav sie sein konnten.
Nur Miranda Blake war noch auf. Sie saß mit ihren Eltern in einer Kabine auf der Sturmwolke und musterte zum wiederholten Mal zufrieden ihr neues elfenbeinfarbenes Seidenkleid mit Puffärmeln und den dazu passenden brombeerroten Samtumhang. Sie drehte ihre Füße hin und her und betrachtete die Slipper, die sie dazu trug. Es war alles perfekt, fand sie.
»Wirklich hübsch, nicht?«, fragte sie ihre Mutter und zupfte eine Falte ihres Rocks zurecht.
Mrs Blake warf ihr einen leicht gereizten Blick zu. »Jetzt nicht, Miranda. Dein Vater und ich haben etwas zu besprechen.« Sie wandte sich wieder ihrem Mann zu und redete in gedämpftem Ton auf ihn ein: »Und die Einrichtung, Rupert, alles vom Feinsten.« Ihre begehrlichen Blicke wanderten durch den von bronzenen Lampen beleuchteten holzgetäfelten Raum mit den kostbar verzierten, meisterlich gearbeiteten Einbauschränken.
»Auf der Sturmwolke war immer Geld da«, antwortete ihr Mann. All die Zigarren und der Portwein hatten seine Stimme dunkel und rau werden lassen.
Ein beunruhigender Gedanke ging Mrs Blake durch den Kopf, und sie drehte sich nach ihrer Tochter um, die damit beschäftigt war, ihr Kleid glatt zu streichen und sich in die Wangen zu kneifen, damit sie schön rosig wurden. Die Aufmerksamkeit ihrer Mutter gefiel Miranda, sie lächelte kokett.
Mrs Blake ging nicht darauf ein. »Pass bloß auf, dass du nicht alles verdirbst, Miranda«, sagte sie barsch. »Wir verlassen uns auf dich.«
Miranda blickte sie an. Sie dachte an all die Besuche auf der Sturmwolke , die sie im Rahmen dieser Charmeoffensive schon gemacht hatte. »Keine Angst«, sagte sie. »Ihr könnt euch auf mich verlassen.«
Abednego trat schweigend ein. Er trug ein weißes Hemd aus fließendem Stoff und ein smaragdgrünes Jackett. Seine goldenen Ohrringe, sein Armreif und seine Halskette blitzten auf seiner ebenholzfarbenen Haut. »Die Herrin ist jetzt bereit, Sie zu empfangen«, sagte er.
Mirandas Eltern bewegten sich auf die Tür zur inneren Kabine zu. Mrs Blake kostete es sichtlich Mühe, ihre freudige Erwartung zu unterdrücken.
In Abednegos schönen, mandelförmigen Augen schimmerten Tränen,
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