Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition)
während er beobachtete, wie sie ihre einzige Tochter vor sich herschob. Eine Sardine als Köder für einen Hai, dachte er traurig, als er die Tür hinter ihnen schloss.
Für Villainous Usage verlief Heiligabend weit weniger großartig. Er saß allein zu Hause, aß einen Teller Suppe und war heilfroh, dass seine Mutter ausgegangen war. Die letzten Wochen waren eine Zeit bitterer Enttäuschungen und Niederlagen für sie gewesen, und folglich mussten alle, die sich in ihrer Umgebung aufhielten, in steter Angst vor ihrem Groll leben.
Das Fenster klapperte ein bisschen in seinem Rahmen, als die Haustür aufgerissen wurde. Villainous in seinem Sessel zog unwillkürlich den Kopf ein. Aber so wie es aussah, war die üble Laune, die seine Mutter in den letzten sechs Wochen umgetrieben hatte, plötzlich verschwunden.
»Es ist wieder ein Postschiff auf dem Weg«, verkündete sie triumphierend. Das leichte Lallen ihrer Stimme ließ darauf schließen, dass sie diese Neuigkeit im Wirtshaus Zum goldenen Fernrohr erfahren hatte. »Die Lady Georgia ist uns durch die Lappen gegangen, aber jetzt kommt die Helmingham vorbei.« Sie kniff ihren Sohn wohlgelaunt in die pickelige Wange. »Wir können Pauls Ruderboot nehmen.«
Villainous fragte nicht, wofür sie ein Ruderboot brauchten. Er wusste, dass er es auch so erfahren würde.
»Wir müssen sofort zur Sturmwolke .« Mrs Usage machte eine fahrige Armbewegung in die ungefähre Richtung des Hafens. »Wenn ich bloß ein bisschen länger mit Abednego sprechen kann, wird er sich schnell wieder daran erinnern, was für einen Haufen Geld wir damals verdient haben, und endlich Vernunft annehmen. Diese Chance dürfen wir uns nicht entgehen lassen.«
Villainous’ Frettchengesicht wurde ein bisschen blass. »Du willst zur Sturmwolke ? Bist du dir sicher?« Ihm war dabei nicht wohl zumute: Die Leute erzählten sich allerlei Geschichten darüber, wie man auf diesem Schiff mit ungebetenen Gästen verfuhr; angeblich verliefen solche überraschenden Besuche manchmal tödlich.
Seine Mutter sah ihn an. Ihr Blick war ein bisschen unstet, aber die Drohung, die darin lag, war trotzdem nur allzu deutlich spürbar. »Wir müssen hin. Und du ruderst mich rüber.«
Villainous fürchtete sich davor, was ihn auf der Sturmwolke erwartete, aber die Angst vor seiner Mutter war noch größer. »Ich hol meine Jacke«, sagte er.
Mrs Usage brauchte gar nicht zur Sturmwolke hinüberzufahren. Als sie, auf ihren Sohn gestützt, zum Hafen kam, sah sie dort Abednego, der Miranda Blake und ihren Eltern gerade beim Aussteigen aus einem Beiboot half. Es war inzwischen dunkel, tintenschwarzes Wasser schlug leise platschend an die Kaimauer.
Mrs Usage schnaubte zornig vor Empörung. Sie richtete ihre Leibesmassen zu voller Größe auf und watschelte, so schnell sie nur konnte, auf den Kapitän zu.
»So ist das also«, fauchte sie, als sie ihn erreichte. »Solche wie die Blakes können Sie gebrauchen und mir zeigen Sie die kalte Schulter!«
»Was für eine unmögliche Person!«, sagte Mrs Blake voller Verachtung, aber nur ganz leise, denn auch sie wusste, dass man mit Mrs Usage besser keinen Streit anfing.
»Früher hat Ihnen unsere Geschäftsidee mal ganz gut gefallen«, fuhr Mrs Usage in voller Lautstärke fort. »Was ist jetzt anders als damals, dass Sie uns so hochnäsig eine Abfuhr erteilen? Wir brauchen nur einen einzigen Sturm«, schrie sie. In ihrer Erregung vergaß sie ganz, dass sie es mit einem Mann zu tun hatte, der aus gutem Grund weithin gefürchtet war. »Nur einen, der uns ein Vermögen bringt.« Sie trat ganz nahe an ihn heran, die massige Frau blickte auf zu dem hochgewachsenen Mann. »Das sind Sie uns schuldig, oder nicht?«
In Abednegos Augen flackerte wilder Zorn. Er packte Mrs Usage an den Armen. »Sie haben Ihren Sohn«, stieß er hervor.
Mrs Usage fühlte, dass all ihr Mut sie verließ – wie eine Flüssigkeit rann er aus ihrer Magengrube und die stämmigen Beine hinunter.
»Sie haben Ihren Sohn und leben in Sicherheit«, sagte er leise.
Mrs Usage glotzte ihn an, aus ihrem aufgesperrten Mund drang ein leise quietschender Schreckenslaut.
»Das ist Vermögen genug«, schloss Abednego.
Dreizehntes Kapitel
K
nackig kalt dämmerte der Weihnachtstag. Es lag kein Schnee, aber über den Himmel trieb eisiges Weiß; es hatte diesen besonderen Schimmer, der verrät, dass der Tag einer der kürzesten des Jahres ist.
Am Mittag saß Abednego an der mit Speisen schwer beladenen Festtafel und sah
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