Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition)
Ziegelmauer führte.
»Wo fahren wir hin?«, fragte sie.
»Zum Herrenhaus. Rafes Haus«, sagte Jeb.
»Was?« Felicity schlug das Herz bis zum Hals. »Das Herrenhaus gehört Rafe? Miranda Blake hat neulich so eine Andeutung gemacht. Sie hat von rauschenden Festen geredet, die früher da gefeiert wurden.«
Jeb lächelte. »Ja, das muss ein toller Anblick gewesen sein, wenn der Garten hoch oben auf der Klippe von Fackeln beleuchtet war.«
»Hat mein Vater auch hier gewohnt?«
Jeb nickte. »Bis er zu Edie kam.«
»Und jetzt gehört der ganze Besitz ihm?«
»Er gehört immer noch Rafe.« Jeb steuerte den Wagen durch die Einfahrt. Der Weg dahinter war in überraschend gut gepflegtem Zustand.
Vor dem Haus hielt Jeb an, Felicity sprang heraus und lief über den Rasen. Die Aussicht aufs Meer war atemberaubend.
»Wunderschön«, flüsterte sie. Leuchtend blau breitete sich vor ihren Augen das Wasser aus und verschmolz am Horizont mit dem Himmel. Von hier oben sah es aus wie wellige Seide. Eine vereinzelte Wolke warf einen grünen Schatten auf die Fläche des Meeres.
»Schau, dort kann man zum Strand runtergehen.« Jeb zeigte auf eine Öffnung in der Steinmauer am Rand des Gartens.
Felicity folgte ihm, aber als sie um die Ecke bog, erschrak sie, so steil war der in die Klippe eingehauene Pfad, der vor ihr hinabführte. Links von ihr klammerten sich dunkle Bäume an den jäh abstürzenden Fels.
Jeb ging voraus. »Am Anfang hat man ein komisches Gefühl im Bauch«, sagte er, »aber man gewöhnt sich schnell daran.«
Felicity setzte ängstlich tastend einen Fuß auf eine moosige Stufe.
»Wenn du willst, nehm ich dich bei der Hand«, bot er ihr an.
Felicity ärgerte sich über sich selbst, weil sie sich so zimperlich anstellte. »Nein, ich komm schon zurecht«, sagte sie tapfer.
»Woher kennst du eigentlich Miss Cameron?«, fragte sie nach einer Weile, während sie den Pfad hinuntergingen.
»Deine Freundin Alice hat sie und meinen Großvater miteinander bekannt gemacht.« Das feuchte Gestein und die Bäume dämpften den Klang von Jebs Stimme.
»Alice?«
Sie waren jetzt unten an den Felsstufen angelangt. Der Pfad führte weiter über lehmige Erde. Jeb ging flott und mit sicheren Schritten voraus; offenbar kannte er sich aus. »Sie war mit Rafe gut befreundet«, bemerkte er.
»Dann kannte sie sicher auch meine Großmutter, oder?«, fragte Felicity ein bisschen außer Atem.
Jeb blieb vor einem Gebüsch am Rand einer niedrigen Düne stehen. Durch die Zweige schimmerte Sonnenlicht.
»Nicht nur das: Alice und Miss Cameron wissen mehr, als du ahnst«, sagte er, dann streckte er die Hand aus und zog einen Zweig des Strauchs vor ihm zur Seite.
Felicity trat ein paar Schritte vor und schnappte nach Luft. Auf der anderen Seite des Gebüschs lag eine kleine Bucht, eingefasst von steilen Klippen, die so dicht mit Bäumen überwachsen war, dass man kaum den Felsen sah. Feiner gelber Sand säumte das Wasser. Am Rand, wo es seicht war, blitzte es kristallklar, und weiter draußen ging es in ein tieferes Blau über.
»Wie schön«, sagte sie leise.
»Das war Rafes Strand«, erklärte Jeb. »Er gehört zum Haus.«
Felicity schaute sich staunend um. »Das ist ja toll – so ein Strand praktisch direkt vor der Haustür!«
»Hier haben sie die tote Ruby gefunden«, sagte Jeb.
Felicity sah ihn entsetzt an. »Echt? Furchtbar.«
Jeb nickte. »Es muss herzzerreißend gewesen sein. Isaac war dabei, als man es Rafe mitteilte. Rafe rannte gleich hinunter, als wäre der Teufel hinter ihm her. Er war rasend vor Trauer, sodass mein Großvater Angst hatte, er würde jemanden umbringen oder sich selbst etwas antun.«
»Er muss sie sehr geliebt haben«, sagte Felicity nach einer Weile.
»Ja, das stimmt, aber ich glaube, er hat sich auch schuldig gefühlt, weil er immer mit den Angelegenheiten der Gentry beschäftigt war und sich zu wenig um seine Tochter gekümmert hatte. Sie war ein kleines Mädchen in einem Haus voller Erwachsener. Sie ist mit dem Boot rausgefahren, weil sie sich einsam gefühlt hat. Das ist ihm klar geworden.«
»Und anschließend hat er meinen Vater verlassen?«, sagte Felicity.
»Rafe war sicher kein Heiliger.«
Felicity schwieg bedrückt. Der kühne Seefahrer, von dem sie in all den Büchern gelesen hatte, faszinierte sie … und doch …
Sie blickte hinaus aufs Meer. Es sah ganz friedlich aus. Sie atmete tief ein und ließ die Luft dann ganz langsam wieder ausströmen. Sie merkte jetzt, dass ihre
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