Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition)
Stimmung sich besserte. Jeb hatte recht gehabt: Der Ort hatte einen guten Einfluss auf sie.
»Das muss aufregend gewesen sein«, sagte sie nachdenklich. »Die Reisen in ferne Länder, Verfolgungsjagden mit der Küstenwache, lauter spannende Abenteuer …«
Jeb grinste. »Ja, mein Großvater und Rafe haben einiges erlebt damals und mehr von der Welt gesehen als die meisten. Du solltest mal dabei sein, wenn Isaac davon erzählt.«
Felicity warf ihm einen Blick zu. »Wünschst du dir nicht auch manchmal so ein Leben?«, fragte sie. »Wellow ist ja schon ziemlich langweilig, wenn man es so vergleicht.«
Jeb zuckte die Achseln. »Irgendwann vielleicht mal. Mein Großvater hat Rafe versprochen, dass die Tempests in Wellow bleiben und warten, bis die Sturmwolke wiederkommt. Und ich fühle mich an dieses Versprechen gebunden, das bin ich ihm schuldig nach allem, was er für mich getan hat.«
Er kniete sich hin und hob eine Glasscherbe auf, die von den Wellen angespült worden war. Sie war trüb und rund geschliffen worden auf ihrer Reise durchs Meer. »Wusstest du, dass die Leute hier in der Gegend so was ›Tränen der Herrin‹ nennen?«, fragte er.
Felicity nahm das Stückchen Glas und drehte es hin und her. »Wirklich? Wieso?«
»Angeblich hat sie jedes Mal, wenn ein Schiff nicht auf die Klippen lief und heil davonkam, vor Zorn Tränen aus Glas geweint, die genauso hart und scharfkantig waren wie sie selbst.«
»Aber das Glas aus dem Meer ist doch glatt und abgeschliffen«, sagte Felicity.
Jeb nickte. »Weil das Meer heilende Kräfte hat.« Er stand auf und klopfte sich den Sand von der Hose. »Das ist ein Gleichnis.« Felicity blickte verwundert auf. »Es steht für die Hoffnung, dass alles eines Tages gut werden kann – sogar die Herrin.«
Sie stiegen wieder zum Garten oben auf der Klippe hinauf und gingen langsam über den Rasen.
»Möchtest du das Haus auch mal von innen sehen?«, fragte er.
Felicity machte große Augen. »Was? Im Ernst? Klar will ich das. Wie kommen wir rein?«
Jeb zuckte die Achseln. »Es ist nicht abgeschlossen.«
Felicity sah ihn verwirrt an.
»Kein Mensch würde es wagen, bei Rafe was zu stehlen«, erklärte er.
Felicity stand da und starrte auf die eichengetäfelte Wand vor ihr. In diesem Haus hatte also ihr Großvater gewohnt. Und ihr Vater. Hatte er hier gespielt? Regale voller Bücher nahmen eine ganze Seite des Zimmers ein. Die Strahlen der Nachmittagssonne erwärmten die Luft, es roch heimelig nach Leder und altem Papier. Das Mädchen trat ans Fenster zu dem prächtigen Fernrohr aus Messing, das auf einem Mahagoniständer montiert war.
»Das Haus wird ordentlich instand gehalten«, sagte Jeb, »aber es wurde nichts verändert: Alles ist noch so wie am Tag, als Rafe weg ist.«
Auf einem Schreibtisch standen gerahmte Fotos. Jeb schaute Felicity über die Schulter. »Der links ist Rafe und der andere ist mein Großvater.«
Sie betrachtete die beiden Männer auf dem Bild. Das also war ihr Großvater Rafe Gallant. Das Foto war vom Alter braun verfärbt, aber man konnte erkennen, dass er sehr gut aussah. Er und Isaac Tempest waren damals noch sehr jung. Sie lachten – ihr kam es fast so vor, als könnte sie es hören. Die beiden standen an Deck einer Jacht.
»Rafe war ein großer Segelsportler. Er besaß eine ganze Flotte von Rennbooten.« Jeb grinste.
Felicity seufzte. Alle möglichen Leute kannten ihre Familiengeschichte besser als sie. Sie ging hinüber zu einem Tisch, auf dem Karten ausgebreitet lagen.
»Das sind Seekarten«, erklärte Jeb. »Da sind die Wassertiefen eingezeichnet, man sieht, wie der Meeresgrund beschaffen ist, all die Sachen eben, auf die man achten muss, wenn man ein Schiff steuert.«
Felicity blätterte behutsam eine der großen Seiten um, dann blätterte sie ebenso behutsam wieder zurück.
Jeb trat zu ihr an den Tisch. »Rafe hat immer großen Wert darauf gelegt, dass alles sorgsam aufgezeichnet wird«, sagte er. »Er nahm es sehr genau damit, obwohl er selbst eigentlich gar keine Karten nötig hatte.«
»Wieso?«, fragte Felicity.
»Er hatte alles im Kopf: Er kannte die Gewässer vor so ziemlich jedem Hafen der Welt genauso gut wie die einheimischen Lotsen.« Jeb sah Felicitys fragenden Blick. »Lotsen sind Spezialisten, die ortsunkundigen Kapitänen helfen, ihr Schiff durch schwieriges Fahrwasser zu steuern«, erklärte er.
Er legte die Hand auf einen der Bände. »Nicht mal die Kriegsmarine hat so genaue Karten wie die Gentry«, sagte
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