Felicity Gallant und das steinerne Herz (German Edition)
gegessen«, sagte Henry.
»Na klar: Dir ist ohne jeden Grund schlecht geworden, einfach so. Das glaubst du doch selber nicht! Jetzt komm, wir bringen dich an die frische Luft.«
Felicity mischte sich ein: »Nein, das stimmt, er hat wirklich nicht –«, aber Percy ließ sie nicht ausreden.
»Es ist nett von dir, dass du ihn verteidigst«, sagte er, »aber wir kennen unseren kleinen Bruder nur allzu gut.«
Felicity gab es auf. Bedrückt sah sie zu, wie Percy und Will ihren Bruder, der stumm auf den Boden starrte, hinausführten. Eine Putzfrau erschien und wischte flink die Lache auf. Die Band legte los, die Menge zerstreute sich schwatzend, der Geräuschpegel stieg wieder an.
Jeb nahm ihre Hand. »Dir ist jetzt sicher nicht mehr nach Tanzen zumute«, sagte er.
Felicity lächelte verlegen. Sie kam sich wie ein Spielverderber vor, aber sie konnte einfach nicht so tun, als wäre nichts passiert. »Ist das schlimm?«, fragte sie.
Elftes Kapitel
A m nächsten Morgen wachte Felicity früh auf. Sie saß am Fenster und schaute zu, wie die Sonne langsam in die Welt kam, ein rosiger Streifen Licht an einem steingrauen Himmel. Die Silhouetten der kahlen Bäume zeichneten sich scharf wie Scherenschnitte vor den Wolken ab. Ihr Herz schlug höher bei dem Gedanken, dass es das erste Weihnachtsfest war, das sie gemeinsam mit ihrem Großvater feiern würden. Die Familie wollte den ganzen Tag im Herrenhaus verbringen und Felicity freute sich darauf. Nach ihrem Sieg bei der Regatta hatte sie beschlossen, mit ihrem Preisgeld Weihnachtsgeschenke für alle zu kaufen. Wochen waren vergangen, bis sie für jeden etwas Passendes gefunden hatte.
Leise ging sie hinunter in die Küche, wo sie ihren Vater antraf, der bereits Tee gemacht hatte. Auch er war ganz aufgekratzt.
»Ich kann mich an kein einziges Weihnachten, das ich mit meinem Vater verbracht habe, erinnern, darum ist dieser Tag für mich etwas ganz Besonderes«, sagte er.
»Hast du überhaupt irgendwelche Kindheitserinnerungen an ihn?«, fragte Felicity.
»Nein, nur an meine Schwester Ruby: Ich weiß noch, wie wir auf dem Rasen zusammen spielten.« Er lächelte. »Du siehst ihr ähnlich, besonders wenn du lachst.«
Felicity schwieg betroffen. Die
Herrin
hatte Ruby ermordet, als Felicitys Vater ein kleines Kind gewesen war.
Er schien ihre Gedanken zu erraten. »Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen, dass du mich an sie erinnerst«, sagte er. »Es ist schön, an sie zu denken.«
Felicity umarmte ihn.
Die Sonne strahlte an einem wolkenlosen Himmel, als später am Vormittag die ganze Familie zum Herrenhaus spazierte. Die kalte Luft kitzelte angenehm in Felicitys Nase. Es roch ganz schwach nach dem Rauch von brennendem Holz, der aus den Kaminen aufstieg. Sie blickte über die stillen Häuser der Stadt aufs Meer hinaus und war vollkommen glücklich.
»Fröhliche Weihnachten«, sagte Rafe, als er ihnen öffnete. Die geschnitzten Engelsköpfe an der Tür strahlten.
Die prächtige Dekoration war weggeräumt worden, die Eingangshalle sah wieder aus wie gewöhnlich. Nichts erinnerte mehr an den Trubel, der vor Kurzem hier geherrscht hatte. Das Ticken der großen Standuhr aus Walnussholz war das lauteste Geräusch im Raum.
»Darf ich ihn jetzt anschauen?«, fragte Poppy und rannte, ohne die Antwort abzuwarten, los zum Wohnzimmer.
»Wen oder was?«, fragte Felicity. Sie folgte ihrer Schwester, begleitet vom Rest der Familie. An der Tür des Wohnzimmers blieb sie staunend stehen: Mitten im Raum stand ein nagelneuer Konzertflügel. Poppy saß bereits mit leuchtenden Augen auf dem Hocker davor.
Felicity lachte. »Du wirkst nicht besonders überrascht.«
Poppy wedelte mit der Hand. »Na ja, Großvater hat ihn mir schon gezeigt – er wollte sichergehen, dass er auch das Richtige kauft. Wunderschön, nicht? Und wie er
klingt
! Hör mal.« Sie klimperte ein Arpeggio.
Felicity lächelte. Das alte Klavier der Gallants war ein bisschen klobig und hielt auch die Stimmung nicht mehr – kein Vergleich mit diesem in elegantem Schwarz schimmernden, wunderbar volltönenden Luxusinstrument. Tom strich bewundernd über den seidigen Lack.
»Großvater hat gesagt, ich kann den Flügel hier stehen lassen. Bei uns zu Hause haben wir schließlich nicht genügend Platz dafür«, bemerkte Poppy.
»Er ist wunderschön.« Die Mutter setzte Olivia auf ihre andere Hüfte.
Felicity streichelte die Wange des Babys. »Ob für dich wohl auch ein Geschenk da ist?«
»Ich fand es schwierig,
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