Felicity Gallant und das steinerne Herz (German Edition)
neben Rafe, im Gesicht sein typisches gelassenes Lächeln. Er trug ein marineblaues Jackett, das über dem Bauch ein bisschen spannte und einen schwachen Geruch nach Vanilletabak ausströmte. »Das ist eine der seltenen Gelegenheiten, alle diese Leute mal in Frieden beieinander zu sehen«, bemerkte er.
Felicity schaute sich um. Es kam ihr vor, als wäre die halbe Stadtbevölkerung hier. Die Gespräche drehten sich um die großen Zeiten, die das Haus schon erlebt hatte, und um die besonderen Beziehungen der einzelnen Gäste zum Hausherrn.
An einer Seite des Saals stand Miranda mit ihren Brüdern. Sie wirkte winzig neben George und Oscar, die selbstzufrieden in die Runde blickten, aber sogar Felicity musste zugeben, dass sie in ihrem elfenbeinfarbenen Kleid sehr hübsch aussah.
Mrs Blake, ganz in schillernd blaue Seide gehüllt, unterhielt sich mit einer fülligen älteren Dame. Ihre Augen huschten wachsam durch den Raum und hielten Ausschau nach würdigeren Gesprächspartnern. Mr Blake trug eine pflaumenfarbene Leibbinde, die seine Korpulenz noch betonte, und hielt ein großes Glas Portwein in der Hand. Er schien bester Laune zu sein.
Mitten im Saal schäkerte Charlotte Chiverton kokett mit einer Gruppe junger Männer, ganz berauscht von ihrem eigenen Charme. Sie entdeckte Felicity und riss sich von ihren Verehrern los. »Was für ein wunderbares Fest«, flötete sie. »Die ganze Stadt ist hier. Alle drängen sich um deinen Großvater. Und Jeb Tempest ist auch da – er hat sich ganz schön rausgemacht.«
Felicity blickte durch den Raum. Ihr Herz setzte einen Moment lang aus. Jeb trug ein schlichtes weißes Hemd und eine grüne Hose. Sein Haar war wie gewöhnlich zu einem Pferdeschwanz gebunden. Eine ganze Schar junger Mädchen umringte ihn und buhlte um seine Aufmerksamkeit. Aufgeregtes Gackern und Kreischen drang herüber.
»Dir ist schon klar, dass du da nicht mithalten kannst, oder?« Charlotte kicherte.
Felicity errötete. »Natürlich«, murmelte sie.
Miranda Blake tauchte neben ihr auf. »Toller Bursche, nicht?« Sie lächelte boshaft. »Wie sie alle auf ihn fliegen!«
»… ein herausragendes Werk klassischer Architektur«, sagte eine Stimme hinter ihr. »Hast du diese Dachgauben gesehen?« Es war Martha. Sie trug ein schlichtes schwarzes Seidenkleid und ein dazu passendes Haarband.
Felicity umarmte sie. »Bin ich froh, dass du da bist«, sagte sie.
»Klar, immerhin
eine
, die dich beachtet«, bemerkte Miranda giftig.
Martha ging nicht darauf ein. »Meine Eltern«, sagte sie zu Felicity und drehte sich zu dem Paar um, das hinter ihr stand. »Mama, Papa, das ist Felicity.« Die beiden schüttelten Felicity die Hand. Sie waren groß und dunkelhaarig. Mrs Platt sah mit ihrer Kurzhaarfrisur und ihrer dicken Brille ziemlich intelligent aus. Sie trug ein unscheinbares schwarzes Kleid. Marthas Vater war schlank und hatte längere Haare als seine Frau. Sein Anzug war nicht besonders festlich. Offensichtlich legten die Eltern von Martha keinerlei Wert auf Äußerlichkeiten.
Felicity bemühte sich höflich, ein Gespräch in Gang zu bringen: »Martha hat erzählt, dass Sie diesen Sommer mit einem faszinierenden Forschungsprojekt beschäftigt waren.«
»Ich sage ihr immer wieder, dass sie alles aufschreiben soll, was ihr letztes Jahr über die Gentry herausgefunden habt«, sagte Mrs Platt. »Solche Materialsammlungen können von unschätzbarem Wert sein, wenn man später mal seine Doktorarbeit schreibt.«
Charlotte Chiverton schnaubte abfällig.
Felicity und Martha warfen ihr zornige Blicke zu.
»Soviel ich weiß, haben Sie selbst gleich mehrere Doktortitel. Ihre Arbeit ist sicher total spannend«, sagte Felicity zu Mrs Platt. »Aber jetzt kommen Sie, wir suchen einen Platz, wo Sie Ihren Mantel aufhängen können.«
Als Marthas Eltern versorgt waren, gingen die beiden Freundinnen in den Garten. In den Boden gesteckte Fackeln und Lampions, die an den Ästen der Bäume hingen, spendeten Licht. Auf dem Rasen wurde ein ganzes Spanferkel am Spieß gebraten. Eine Gruppe von Gästen hatte sich um das Feuer versammelt. Sie unterhielten sich darüber, wie es sich wohl anfühlte, dauernd in so einem herrschaftlichen Haus zu wohnen, und ob all die Pracht und Größe nicht vielleicht doch etwas Bedrückendes an sich hatte.
Felicity und Martha hielten sich nicht bei ihnen auf, sondern gingen weiter zum Küchengarten. »Dein Großvater hat wirklich an alles gedacht«, sagte Martha, als sie durch die Tür in der
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