Felicity Gallant und das steinerne Herz (German Edition)
Pickels sauste auf den Boden des Chemiesaals nieder. Wieder hieb er zu und wieder. Steinbrocken sprangen, es staubte, der ganze Raum bebte vom Dröhnen der Schläge.
Dann war es geschafft: Im Boden klaffte ein Loch. Povl Usage schob den Schutt beiseite. Er und Felicity stiegen durch die Öffnung hinab.
Der unterirdische Gang, in dem sie sich befanden, musste uralt sein. Es roch modrig – sicher hatte ihn seit Jahrhunderten kein Mensch mehr betreten. Felicity wartete eine Weile, damit sich ihre Augen an das Dunkel gewöhnen konnten. Sie hörte nichts als das Tropfen und Platschen von Wasser irgendwo im Untergrund, aber ihr war, als fühlte sie die Gegenwart von unzähligen Tausendfüßlern, Ohrwürmern und Schaben, die überall um sie herumwimmelten.
Und dann sah sie es: Vor ihr lag eine reinweiße Granitstatue, umgeben und halb verschüttet von Sand. Es war die Figur einer Schlafenden in einem langen, faltenreichen Gewand. Ruhig und heiter lag sie da, als hätten Meereswellen sie hergetragen und sanft hier abgelegt. Sie war noch unvollständig, aber die Teile, die bereits fertig waren, schimmerten warm. Die wunderschön geschwungenen Lider waren bis ins letzte Detail perfekt, eine Wange fehlte noch. In der Brust klaffte eine große Lücke; man sah die Stelle, an die das Herz gehörte.
Povl Usage beugte sich über die Figur seiner Herrin und setzte den Blutstein ein. »Gleich ist sie wieder ganz«, sagte er.
Vor Felicitys Augen kam der Sand in Bewegung. Von allen Seiten flossen und flogen weiße Körnchen auf die Statue zu, immer schneller tanzten sie in rasendem Wirbel, eine weiße Staubwolke, fortgerissen von einem ungeheuren Sog. Felicity hustete und rang nach Atem, ihre Augen tränten, ihre Lungen brannten, sie konnte nichts mehr sehen. Ein schreckliches Geräusch erfüllte die Luft: ein wildes Heulen, das von untröstlichem Schmerz kündete.
Der weiße Sand strömte aus Felicitys Körper, er rieselte aus ihren Augen, ihrem Mund, ihrer Nase. Sie sah ihn fortfliegen, sie spürte ihn aus ihrem Inneren abfließen.
Dann wurde es still.
Die Luft wurde wieder klar und Felicity sah sich verwirrt um. Ganz langsam, als ob sie aus dem Schlaf erwachte, dämmerte ihr die schreckliche Wahrheit. Ihr ganzer Körper begann heftig zu zittern. Panisch rieb sie sich übers Gesicht, über die Arme.
Das war kein Traum, das war wirklich.
Aus dem Augenwinkel sah sie etwas Helles schimmern. Sie fuhr herum, wollte schreien – aber sie brachte keinen Ton heraus.
Die weiße Statue lag nicht mehr, sie stand aufrecht in dem unterirdischen Raum und sah Felicity an. Ihre Brust hob und senkte sich, ihre Lider bewegten sich.
Die Figur lebte – die Erdhexe lebte.
Sie war nicht einfach nur weiß, sie strahlte in dem durchscheinenden Ton reinsten Schnees. Ihre Haut schimmerte, ihre Handgelenke und Knöchel waren zierlich, ihre Arme und Beine schlank und wohlgeformt. Ihr Haar floss in herrlichen Wellen über ihre Schultern und ihren Rücken, ihre Wangen waren makellos, ihre Lippen voll und ausdrucksstark. Aber ihre mandelförmigen Augen sahen schrecklich aus: undurchsichtig weiß wie gebleichte Knochen.
»Endlich bin ich erlöst und wieder ganz«, sagte sie. Ihre Stimme klang voll und dunkel, als tönte sie aus der Tiefe der Erde. Sie betastete ihren Körper, als könnte sie es immer noch nicht glauben.
Felicity starrte sie an, voller Grauen und doch unfähig, den Blick abzuwenden.
Ein verzücktes Seufzen drang an ihr Ohr und brach den Bann. Felicity drehte den Kopf. Povl Usage kniete auf dem Boden und blickte in anbetender Bewunderung zu seiner Herrin auf. Dann erhob er sich, leise schwankend stand er da. »Meine Gebieterin«, flüsterte er. Seine Augen glitzerten.
Sie trat zu ihm hin. Ihr Gang, ihre Haltung waren voller Anmut und Hoheit. Sie streichelte seine Schläfe. Ein seliges Lächeln verklärte seine Züge.
»Du hast mir mein Herz gebracht«, sagte sie.
»Diese Dummköpfe haben sich eingebildet, sie könnten es vor mir verstecken.« Er grinste irre.
Sie streckte den Arm aus. »Sollen wir anfangen?«
Povl Usage ergriff ihre Hand, hingerissen vor Bewunderung. Die beiden schienen Felicity ganz vergessen zu haben. »O ja, unsere Rache soll über sie kommen«, sagte er.
Die Erdhexe schloss die Augen, ihr Gesicht nahm einen konzentrierten Ausdruck an. Ein dunkles, pulsierendes Geräusch setzte ein, das aus dem Inneren der Erde zu dringen schien.
Felicity fühlte es in ihrem Körper vibrieren. »Nicht, bitte …«,
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