Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12
auch gebildet. Zwischen der
Dauerdröhnung und dem eintönigen Rattenfraß blieb als einzige Abwechslung die
Vertiefung in die wurmzerfressenen Bücher. Besonders Eloi gab sein Bestes, um
dem jungen Francis eine anständige Bildung zu verpassen. Nachdem er ihm das
Lesen beigebracht hatte, fing er bei Adam und Eva an, beziehungsweise bei den
alten Griechen. Er dozierte, daß die Sehnsucht nach dem Paradies, wo Mensch und
Tier miteinander in Harmonie lebten, sich im Mythos von Orpheus ausdrückte, der
durch seinen Gesang selbst die wildesten Kreaturen in friedfertige Wesen
verwandelte. Und daß die ersten Götter zuerst Tiergestalten waren und erst viel
später menschliche Form annahmen. Tiere, die bestimmte Wesenszüge
verdeutlichten, wurden ihnen als Attribute beigegeben. In Vertretung realer
Opfertiere weihte man tierische Statuetten. Mäuse galten schon damals als
dämonische Wesen. Bei den Griechen stand die Maus mit dem Heilgott Apollon
Smintheus in Verbindung, der Seuchen aussandte, wobei ihm die Mäuse als Boten
dienten, denn man hatte den Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Mäusen und
dem Ausbruch von Seuchen erkannt.
Im Christentum war dann Schluß mit lustig. Die Bibel ging
von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele aus. Damit war die Vorstellung
verknüpft, daß im Sterben die Seele den Körper verläßt und zu Gott auffährt.
Der hebräische Begriff für Seele bedeutet unter anderem Luftröhre. Wenn
unseresgleichen ähnlich wie die Menschen eine unsterbliche Seele hätten,
könnten auch wir einen hohen Rang in der religiösen Werteordnung beanspruchen
und damit letztlich einen besonderen Respekt. Zumindest nach den biblischen
Quellen gab es allerdings eine solche direkte Kommunikation zwischen Gott und
den Tieren nicht. Bereits für den Theologen Augustinus war klar, daß nur
Menschen eine unsterbliche Seele hatten, also im direkten Austausch mit Gott
stehen konnten, während die Seele von unseresgleichen mit dem Tod zugrunde
ging. Von einer Auferstehung der Tiere oder einem Leben der Tiere nach dem Tod
konnte im Christentum keine Rede sein. Deshalb kann man sie auch bedenkenlos
umbringen – und verspeisen.
Nach dieser bitteren Lektion kamen die Klassiker dran, von Lebensansichten des Katers Murr über Moby Dick bis hin zu Die
Möwe Jonathan- . Nichtsdestotrotz half das Studium Paps, intellektuelle
Werkzeuge zur Durchdringung der Welt zu erlangen, kurz, er erhielt eine gute
Bildung. Die Schattenseite der Übung war die recht seltsame Schule, in der man
während des Unterrichts mit Billigung der Lehrer Drogen zu sich nehmen durfte.
Die Dudes ermunterten ihren Schüler sogar dazu. Es blieb am Ende also die
Frage, ob der Zögling Francis unter diesen Umständen tatsächlich so viel Kultur
in sich aufgesogen hatte, wie er später glaubte. Vielleicht war es ja vielmehr
so, daß er sich in seinem von der Minze beflügelten Dauertraum all diesen
bildungsbürgerlichen Kram schlichtweg erträumt hatte, genau wie die
Schauergeschichten über die sich gelegentlich außerhalb des Brunnens
ereignenden Morde. Denn obwohl die Gemeinde der Dudes offenbar kontinuierlich
dezimiert wurde, zeigte sie sich davon so wenig geschockt wie vom
sprichwörtlichen Sack Reis, der in China umfällt. Als ich Paps mit meiner
Vermutung konfrontierte, wußte auch er keine vernünftige Antwort darauf.
Trotz dieser Ungereimtheiten konnte Paps sich einer Sache
sehr genau entsinnen. Ich nahm es ihm ab, weil er hierbei von einer
Ergriffenheit gepackt wurde, die ich bei ihm noch nie so erlebt hatte. Der
Frühling hatte das Staffelholz mittlerweile an den Sommer übergeben, obwohl im
Brunnen stets eine gleichmäßig angenehme Temperatur herrschte und das dämmrige
Kerzen-Ambiente »Christmas forever!« suggerierte. Die biologische Glut indes
stieg dem Knaben, der unaufhaltsam zum Manne reifte, immer schneller in den
Kopf, und, Minze-Delirium hin, Marathonschmökerei her, schon bald war auch das
Ziel dieser speziellen Glut ausgemacht.
Sie hieß Madam und war eher ein freches, junges Madamchen.
Paps beschrieb sie mir als eine Britisch Kurzhaar Weiß, ein Schneeflöckchen mit
einem runden und breiten Kopf, orangefarbenen großen Augen und einer geraden
Nase mit einem rosa Nasenspiegel. Dieses strahlend weiße Geschöpf hatte es Paps
angetan, und waren die beiden noch vor ein paar Wochen ganz normale, sich
neckende und miteinander spielende Jugendliche gewesen, so änderte sich die
Beziehung mit einem Male.
Es kam zu heimlichen
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